Verdammnis
stolperte er über ein paar aus dem Boden ragende Wurzeln und stürzte. Miriam Wu stöhnte auf, und im selben Moment hörte man, wie die Tür der Lagerhalle krachend aufflog.
Der blonde Riese war eine monumentale Silhouette im hellen Rechteck der geöffneten Tür. Paolo legte Miriam Wu eine Hand über den Mund, beugte sich zu ihr hinunter und befahl ihr, still zu sein und sich nicht zu rühren.
Dann tastete er den Boden unter dem Wurzelwerk ab und fand einen Stein, der etwas größer als seine Faust war. Paolo bekreuzigte sich. Er war zum ersten Mal in seinem sündigen Leben bereit, einen Menschen zu töten, falls es notwendig werden sollte. Mittlerweile war er so entkräftet und so übel zugerichtet, dass er eine weitere Runde nicht überstehen würde. Aber niemand, nicht einmal ein blondes Monster, konnte mit zerschmettertem Schädel kämpfen. Er umklammerte den Stein und fühlte, dass er eine ovale Form mit einer scharfen Kante hatte.
Der blonde Riese ging bis an die Ecke des Gebäudes und beschrieb dann einen großen Bogen über den kiesbestreuten Vorplatz. Weniger als zehn Schritte von der Stelle entfernt, wo Paolo den Atem anhielt, blieb er stehen. Der Riese lauschte und spähte - aber er konnte nicht ahnen, in welche Richtung sie in die Nacht verschwunden waren. Nach ein paar Minuten erfolgloser Suche schien er die Aussichtslosigkeit seines Bemühens einzusehen. Entschlossen ging er in die Halle zurück und trat wenige Minuten später wieder nach draußen. Er machte das Licht aus und stieg mit einer Tasche in den weißen Volvo. Nach einem Kavalierstart verschwand er über die Auffahrt. Paolo lauschte schweigend, bis sich das Motorengeräusch in der Ferne verlor. Als er nach unten blickte, sah er Miriam Wus Augen im Dunkeln glänzen.
»Hallo, Miriam«, sagte er. »Ich heiße Paolo, und du brauchst keine Angst vor mir zu haben.«
»Ich weiß.«
Ihre Stimme war schwach. Erschöpft lehnte er sich zurück und spürte, wie sein Adrenalinspiegel langsam wieder sein normales Niveau erreichte.
»Ich weiß nicht, wie ich aufstehen soll«, erklärte er. »Aber auf der anderen Seite der Straße hab ich mein Auto geparkt. Ungefähr hundert Meter von hier.«
Der blonde Riese fuhr östlich von Nykvarn auf einen Rastplatz. Er war aufgewühlt und benommen.
Zum ersten Mal in seinem Leben war er in einer Schlägerei zu Boden geschickt worden. Und niedergeschlagen hatte ihn ausgerechnet … Paolo Roberto, der Boxer. Es kam ihm beinahe vor wie ein irrer Traum. Es wollte ihm nicht in den Kopf, woher Paolo Roberto auf einmal gekommen war. Ganz plötzlich hatte er einfach dort in der Lagerhalle gestanden.
Paolo Robertos Schläge hatte er gar nicht gespürt, was ihn nicht überraschte. Aber den Tritt in den Schritt hatte er sehr wohl gespürt. Und bei diesem schrecklichen Schlag auf den Kopf war ihm schwarz vor Augen geworden. Er tastete mit den Fingern sein Genick ab und fühlte eine riesige Beule. Doch wenn er darauf drückte, empfand er keine Schmerzen. Trotzdem war ihm schwindlig. Als er die Zunge durch seine Mundhöhle gleiten ließ, stellte er verwundert fest, dass links oben ein Zahn fehlte. Im ganzen Mund hatte er diesen Blutgeschmack. Dann nahm er seine Nase zwischen Daumen und Zeigefinger und bog sie vorsichtig nach oben. Dabei hörte er einen knackenden Laut im Schädel und wusste, dass seine Nase gebrochen war.
Die Tasche zu holen und das Lager zu verlassen, bevor die Polizei kam, war genau das Richtige gewesen. Dennoch hatte er einen riesigen Fehler begangen. Im Fernsehen hatte er einmal gesehen, wie die Polizei am Tatort DNA-Spuren sicherte. Blut. Haare.
Zwar hatte er nicht die geringste Lust, zur Lagerhalle zurückzukehren, doch es blieb ihm keine andere Wahl. Er wendete auf der Straße. Kurz vor Nykvarn kam ihm ein Auto entgegen, aber er dachte nicht weiter darüber nach.
Die Fahrt zurück nach Stockholm war der reinste Albtraum. Paolo Roberto hatte Blut in den Augen und war so zerschlagen, dass sein ganzer Körper schmerzte. Er spürte, dass er Schlangenlinien fuhr, trotz des hohen Tempos. Mit der einen Hand trocknete er sich die Augen und befühlte dann vorsichtig seine Nase. Es tat richtig weh, und er konnte nur noch durch den Mund atmen. Unaufhörlich hielt er nach einem weißen Volvo Ausschau und glaubte, dass ihnen auf der Höhe von Nykvarn ein solcher entgegengekommen war.
Er warf einen Blick auf Miriam Wu, die immer noch Handschellen trug und ohne Sicherheitsgurt auf dem Rücksitz
Weitere Kostenlose Bücher