Verdammnis
Stattdessen hast du dir in den Massenmedien und in der Gerichtsverhandlung diesen ganzen Mist reingezogen. Du hast dich nicht mal verteidigt. Ich hätte sterben können vor Wut.«
»Das waren besondere Umstände. Du hättest da auch nichts ausrichten können.«
»Doch, aber das ging mir erst ein Jahr später auf, als Millennium wieder in den Ring stieg und Wennerström vernichtend schlug. Bis dahin war ich nur enttäuscht von dir.«
»Du hättest nichts machen können, um diesen Prozess zu gewinnen.«
»Du verstehst einfach nicht, worauf es mir ankommt, großer Bruder. Mir ist auch klar, dass das ein hoffnungsloser Fall war. Ich habe das Urteil gelesen. Aber der Punkt ist der, dass du nicht zu mir gekommen bist, um mich um Hilfe zu bitten. Hallo Schwesterchen, ich bräuchte einen Anwalt. Deswegen bin ich auch nicht im Gericht aufgetaucht.«
Mikael dachte über ihre Worte nach.
»Sorry. Das hätte ich wohl machen sollen, schätze ich.«
»Ja, das hättest du wahrhaftig.«
»Ich war damals völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Ich konnte mit überhaupt niemandem mehr reden. Ich wollte mich einfach hinlegen und sterben.«
»Was du dann aber doch nicht getan hast.«
»Tut mir leid.«
Plötzlich musste Annika Giannini lächeln.
»Eine Entschuldigung nach zwei Jahren … na immerhin. Ist es eilig mit dem Text?«
»Sehr. Wir gehen bald in Druck. Hier musst du links abbiegen.«
Annika parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite am Björneborgsvägen, wo Dag Svensson und Mia Bergman wohnten. »Es dauert nur ein paar Minuten«, versprach Mikael, trabte über die Straße und gab an der Haustür den Code ein. Als er das Haus betrat, hörte er aufgeregte Stimmen durchs Treppenhaus hallen und ging die drei Stockwerke zu Dag und Mia hinauf. Erst als er im dritten Stock stand, sah er, dass sich der Tumult vor der Wohnung der beiden abspielte. Im Treppenhaus standen fünf Nachbarn. Die Tür zu Dags und Mias Wohnung war nur angelehnt.
»Was ist denn hier los?«, erkundigte sich Mikael, eher neugierig als besorgt.
Die Stimmen verstummten. Fünf Augenpaare richteten sich auf ihn. Drei Frauen und zwei Männer, samt und sonders im Rentenalter. Eine der Frauen war im Nachthemd.
»Es hat sich wie ein Schuss angehört.« Der Mann, der ihm antwortete, war über 70 und trug einen braunen Bademantel.
»Schuss?«, wiederholte Mikael mit dümmlichem Gesichtsausdruck.
»Gerade eben. Vor einer Minute ist in dieser Wohnung geschossen worden. Die Tür stand offen.«
Mikael schob sie beiseite, klingelte und ging, ohne weiter abzuwarten, in die Wohnung.
»Dag? Mia?«, rief er.
Keine Antwort.
Plötzlich lief es ihm eiskalt über den Nacken. Er roch Schwefel. Dann war er an der Wohnzimmertür. Das Erste, was er sah, war Dag Svensson, der bäuchlings in einer riesigen Blutlache lag - vor den Esszimmerstühlen, auf denen er und Erika vor ein paar Monaten noch gegessen hatten.
Mikael hastete zu Dag, zog sein Handy aus der Tasche und rief die Notrufzentrale 112 an. Sofort meldete sich eine Stimme.
»Ich heiße Mikael Blomkvist. Ich brauche einen Krankenwagen und Polizei.«
Er nannte die Adresse.
»Worum geht es?«
»Ein Mann … sieht so aus, als wäre er in den Kopf geschossen worden … er rührt sich nicht.«
Mikael bückte sich und versuchte, am Hals den Puls zu fühlen. Dann entdeckte er den riesigen Krater an Dags Hinterkopf und erkannte, dass das, worin er gerade stand, der Großteil von Dag Svenssons Gehirnmasse sein musste. Langsam zog er seine Hand zurück.
Kein Krankenwagen der Welt konnte Dag Svensson noch retten.
Plötzlich entdeckte er die Scherben einer der Kaffeetassen, die Mia Bergman von ihrer Großmutter geerbt und so ängstlich gehütet hatte. Schnell stand er auf und sah sich um.
»Mia!«, schrie er.
Der Nachbar im braunen Morgenrock war nach ihm in den Flur gekommen. Mikael drehte sich zur Wohnzimmertür um und deutete auf ihn.
»Nicht reinkommen«, brüllte er. »Gehen Sie wieder zurück ins Treppenhaus.«
Der Nachbar schien zuerst protestieren zu wollen, aber dann gehorchte er. Mikael blieb fünfzehn Sekunden wie angewurzelt stehen. Dann ging er um die Blutlache herum und vorsichtig an Dag vorbei zur Schlafzimmertür.
Mia Bergman lag rücklings auf dem Boden vor dem Fußende des Bettes. Man hatte ihr direkt ins Gesicht geschossen. Die Kugel war unter dem linken Ohr in den Unterkiefer eingedrungen. Die Austrittswunde an der Schläfe war so groß wie eine Orange, und ihre rechte Augenhöhle
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