Verdammnis
war leer. Sie hatte noch mehr Blut verloren als ihr Freund, falls das überhaupt möglich war. Die Kugel hatte solche Durchschlagskraft gehabt, dass die Wand am Kopfende des Bettes voller Blutspritzer war.
Mikael merkte, dass er das Handy krampfhaft umklammerte und immer noch mit der Notrufzentrale verbunden war. Er hatte die ganze Zeit die Luft angehalten. Jetzt atmete er ein und hob das Telefon ans Ohr.
»Wir brauchen die Polizei. Hier sind zwei Personen erschossen worden. Ich glaube, sie sind tot. Beeilen Sie sich.«
Er hörte, dass die Stimme in der Notrufzentrale noch etwas sagte, aber er nahm die Worte nicht mehr wahr. Plötzlich schien irgendetwas mit seinem Gehör nicht mehr in Ordnung zu sein. Um ihn wurde es ganz still, er konnte nicht einmal mehr seine eigene Stimme hören, als er etwas zu sagen versuchte. Er steckte das Handy ein und verließ die Wohnung. Als er ins Treppenhaus trat, spürte er, dass er am ganzen Körper zitterte und sein Herz wie wild pochte. Ohne ein Wort drängelte er sich durch die versteinerte Schar der Nachbarn und setzte sich auf den Treppenabsatz. Wie aus weiter Ferne hörte er, wie sie ihm Fragen stellten. Was ist passiert? Sind die beiden verletzt? Ihre Stimmen hörten sich an, als kämen sie durch einen Tunnel.
Mikael saß da wie betäubt. Ihm war klar, dass er einen Schock erlitten hatte. Er senkte den Kopf zwischen die Knie und begann zu denken. O Gott - jemand hat sie umgebracht. Sie sind gerade eben erschossen worden. Der Mörder könnte immer noch in der Wohnung sein … nein, dann hätte ich ihn gesehen. Die Wohnung ist nur 55 Quadratmeter groß. Er wollte einfach nicht aufhören zu zittern. Dags Gesicht hatte er nicht gesehen, weil er auf dem Bauch lag, aber das Bild von Mias zerfetztem Gesicht war ihm wie in die Netzhaut gebrannt.
Ganz plötzlich konnte er wieder hören, als hätte jemand den Lautstärkeregler hochgedreht. Rasch stand er auf und sah den Nachbarn mit dem braunen Bademantel an.
»Sie«, sagte er. »Stellen Sie sich hierhin und passen Sie auf, dass niemand die Wohnung betritt. Die Polizei und der Krankenwagen sind unterwegs. Ich gehe runter und lasse sie rein.«
Mikael rannte die Treppe hinunter. Im Erdgeschoss warf er einen kurzen Blick zur Kellertreppe und blieb stehen. Mitten auf der Treppe lag gut sichtbar ein Revolver. Mikael sah, dass es sich vermutlich um einen Colt 45 Magnum handelte - die Waffe, mit der auch Präsident Palme ermordet worden war.
Er bezwang seinen Impuls, die Waffe aufzuheben. Stattdessen öffnete er die Haustür und blieb in der Nachtluft stehen. Erst als er die Sirenen hörte, fiel ihm ein, dass seine Schwester im Auto saß und auf ihn wartete. Er ging über die Straße.
Annika wollte gerade eine spitze Bemerkung über die Saumseligkeit ihres Bruders machen, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.
»Hast du jemand gesehen, während du gewartet hast?«, fragte Mikael.
Seine Stimme klang heiser und unnatürlich.
»Nein. Wer sollte das denn gewesen sein? Was ist passiert?«
Mikael schwieg ein paar Sekunden, während er sich aufmerksam umsah. Auf der Straße war alles ruhig. Er griff in seine Jackentasche und fand eine zerknitterte Zigarettenschachtel, in der noch genau eine Zigarette war. Als er sie ansteckte, hörte er das Geräusch von Polizeisirenen in der Ferne, das langsam näher kam. Er sah auf die Uhr. 23 Uhr 17.
»Annika - das wird eine lange Nacht«, sagte er.
Die Polizisten Magnusson und Ohlsson waren als Erste vor Ort. Sie befanden sich nach einem blinden Alarm gerade auf dem Nynäsvägen. Ihnen folgte ein Wagen mit Kommissar Oswald Mårtensson, der gerade am Skanstull war, als der Ruf von der Leitzentrale erging. Sie kamen beinahe gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen und sahen einen Mann in Jeans und dunkler Jacke auf der Straße stehen, der die Hand hob, um sie anzuhalten. Gleichzeitig stieg ein paar Meter entfernt eine Frau aus einem parkenden Auto.
Alle drei Polizisten warteten ein paar Sekunden ab. Laut den Angaben der Notrufzentrale waren zwei Personen erschossen worden, und der Mann hielt einen dunklen Gegenstand in der linken Hand. Sie brauchten ein paar Sekunden, bis sie sicher waren, dass es sich nur um sein Handy handelte. Sie stiegen gleichzeitig aus dem Auto und sahen sich die beiden näher an. Mårtensson übernahm sofort das Kommando.
»Haben Sie angerufen wegen der Schüsse?«
Der Mann nickte. Er wirkte sehr mitgenommen. Er rauchte eine Zigarette, und seine Hand zitterte auffällig,
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