Verdammt wenig Leben
Erfahrungen bei ähnlichen Anlässen. Die Hauptsache war sowieso, dass er eine gute Figur machte. Da war es nicht so wichtig, wer die anderen Gäste waren. Er musste nur so tun, als würde er sie mögen und sie schon ewig kennen.
Seine Begeisterung erhielt einen kleinen Dämpfer, als er die Tür der Fluglimousine öffnete und drinnen Kevin entdeckte, den blonden Sportler, der sich mit Dreiecksbeziehungen auskannte und dessen letzte Sendungen seine eigene Einschaltquote gefährdet hatten. Kevin grüßte ihn lässig. Falls er sich darüber ärgerte, das Fahrzeug mit Jason teilen zu müssen, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
»Deine Sendung gestern war super«, sagte er, kurz nachdem die Limousine abgehoben hatte. »Glaub mir, ich bin einer deiner treuesten Fans! Bei der letzten Zuschauerbefragung habe ich für Alice gestimmt. Eine schöne Überraschung, dass sie wieder da ist.«
Unwillkürlich verspürte Jason einen Anflug von Eifersucht.
»Sie war die letzten Wochen arbeitslos«, erwiderte er bissig. »Du hättest sie für dein Programm verpflichten können, wenn du gewollt hättest.«
Mit einem naiven Gesichtsausdruck, der ganz und gar nicht zu seinen harten, kantigen Zügen passte, zog Kevin die Augenbrauen hoch.
»Oh, das hab ich sogar versucht«, sagte er lächelnd. »Deine Freundin gefällt mir, ich stehe total auf sie. Und ich will dich ja nicht kritisieren, aber … Ich hatte so meine eigenen Ideen, wie man sie behandeln muss. Das Publikum hätte getobt.«
»Und warum hast du sie nicht engagiert?«, fragte Jason schroff.
Kevin zuckte mit den Schultern.
»Der Produzent wollte nicht. Angeblich ist sie schwierig, hat ständig Ärger mit den Drehbuchautoren. Glaub mir, ich hätte dieses widerspenstige Kätzchen schon gezähmt … Na ja, ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.«
Jasons gesamte gute Laune war wie weggeblasen. Die Tatsache, dass Kevin ganz offen zugab, ihm Alice wegnehmen zu wollen, beunruhigte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Kevin war ein aufsteigender Star, ein neuer Stern am Himmel der großen Sender. Er war attraktiv, noch attraktiver als er selbst, und sein aggressiver Umgang mit Frauen fand anscheinend Zustimmung. Wenn er es wirklich darauf anlegte, Alice zu verpflichten, würde er sie irgendwann bekommen. Sie hätte nichts dagegen, da war er sich sicher. Bei dem Angebot, wieder seine Freundin zu werden, hatte sie gezögert, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, warum. Nur der Mangel an anderen Engagements hatte sie in sein Leben zurückgebracht.
Es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Er wollte Alice nicht verlieren.
»Wir könnten sie uns ja teilen«, sagte Kevin mit einem fiesen Grinsen. »Dann würden unsere Quoten abheben, niemand würde uns einholen können. Das wäre doch eine Idee, meinst du nicht? Ich werd das mal mit meinem Team besprechen.«
Fest entschlossen, diesen Vorschlag zu ignorieren, sah Jason konzentriert aus dem Fenster. Sie flogen gerade über den Platz der Zeit mit der gigantischen Sanduhr in der Mitte, dem schönsten Wahrzeichen der Stadt. Die Straßen waren um diese Zeit fast schon wie leer gefegt. Der Platz gefiel ihm viel besser, wenn die Tische vor den Cafés besetzt waren. Er selbst hatte schon ewig nicht mehr dort gesessen.
Das Telefon vibrierte leise in seiner Hosentasche. Als er es herausholte, aktivierte er den Flachbildmodus, damit Kevin die neue Nachricht nicht sehen konnte.
Sie war von Minerva: ein neues Storyboard, wieder ohne Kommentar. Hastig überflog er es. Es war nicht für ihn geschrieben. Diesmal war die Hauptdarstellerin offenbar eine Frau namens Rebecca Allen. In Kevins Gegenwart konnte er sich nicht in die Details ihrer Geschichte vertiefen, aber auf manchen Panels trug die Frau ein vollkommen albernes Superheldinnenkostüm.
Unwillkürlich seufzte er genervt. Noch mehr Rätsel. Auf jeder Seite prangte das vierblättrige Kleeblatt, ein eindeutiges Zeichen, dass er das Drehbuch nicht aus Versehen erhalten hatte.
Und da war noch etwas. Das karamellfarbene Fläschchen. Er entdeckte es erst auf den zweiten Blick, denn es war ganz klein gezeichnet, nur ein Behältnis in den Händen einer Frau. Aber es sah dem Fläschchen, das er heute früh aus Edgar Freys Labor mitgenommen hatte, sehr ähnlich. Vielleicht gab es da eine Verbindung.
»Ist was passiert?«, fragte Kevin mit besorgter Miene.
»Nein, nein«, erwiderte Jason und zwang sich zu einem Lächeln.
Er schaltete das Telefon aus. Was auch immer
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