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Verdammt wenig Leben

Verdammt wenig Leben

Titel: Verdammt wenig Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Alonso , Javier Pelegrin
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Botenstoff, der die zerebrale Kettenreaktion auslöst. Nehmen Sie einmal täglich eine Tablette mit einer kleinen Menge Flüssigkeit ein, in schweren Fällen die doppelte Dosis. Die Nebenwirkungen …«
    Der holografische Vorleser brach abrupt ab, als Jason das Fläschchen wieder zuschraubte. Er hatte genug gehört. Diese Tabletten wurden offenbar zur Behandlung multipler Persönlichkeiten eingesetzt. Tja, vielleicht hatte Minerva in einem ihrer zukünftigen Drehbücher etwas vor, das mit dieser Krankheit zu tun hatte, und wollte, dass er gewappnet war. Vielleicht war dieses Medikament nicht so einfach zu bekommen und Minerva hatte die Idee mit dem nächtlichen Besuch im Labor gehabt, damit er nur zuzugreifen brauchte …
    Nein. Das war kompletter Unsinn. Wenn Minerva wirklich wollte, dass er das Medikament stahl, hätte sie es nur zu sagen brauchen. Sie wusste, dass er alles tun würde, was sie von ihm verlangte, dass er ihr blind vertraute. Deshalb ergab es keinen Sinn, dass sie ihn im Dunkeln tappen ließ ohne die geringste Ahnung, was er zu tun hatte. Es sei denn, genau das war ihre Absicht: ihn zu zwingen zu improvisieren, die Initiative zu ergreifen …
    Na gut, dachte er gereizt. Wenn Minerva ihn auf die Probe stellen wollte, konnte sie das haben. Es blieb ihm ja auch gar nichts anderes übrig. Schließlich schrieb sie seine Zukunft. Bisher war sie für ihn eher eine beschützende, barmherzige Göttin gewesen. Wenn sie sich jetzt in eine andere Art von Gottheit verwandeln wollte, in ein mysteriöses, launenhaftes Geschöpf, dessen Handlungen immer rätselhaft blieben, würde er das respektieren. Er würde tun, was die Menschen von jeher getan hatten: versuchen, die Botschaften ihrer Götter zu verstehen und ihnen zu vertrauen. Er hatte keine andere Wahl.
    »Tinki, du musst mir sagen, was ich zu dem Essen heute Abend anziehen soll. Es ist im Club Siebzig .«
    »Im Ernst? Dann zieh das purpur-grün gestreifte Hemd an, das Paul dir zum Start der neuen Staffel geschenkt hat.«
    »Zum schwarzen Anzug?«
    »Zum schwarzen Anzug«, bestätigte Tinkerbell, die in Sachen Kleidung einen unfehlbaren Geschmack hatte. »Ich lege dir gleich alles heraus.«
    Jason nickte und ging unter die Dusche. Während die intelligenten Düsen seine Muskeln dort massierten, wo sie es am meisten brauchten, schloss er die Augen und dachte an Alice. Wann würde er sie wiedersehen? Manchmal hasste er ihre Professionalität, die ironische Distanz, mit der sie jede Drehbuchanweisung ausführte. Aber gestern Abend, in seinem Bett, war sie ganz sie selbst gewesen. Da hatte es keine Kameras gegeben, nur sie beide. Zum ersten Mal hatte er hinter der Maske der Wildkatze, die ihr so gut stand, eine unsichere, verletzliche Alice erahnt. Ihm gefiel die unbezähmbare, verführerische Alice, aber noch mehr gefiel ihm die andere, ein sanftes Wesen, das vielleicht nur in seinen Träumen existierte …



Tinkerbells hohe Stimme riss ihn aus seinen Tagträumen.
    »Der Klub hat angerufen. Du wirst in einer halben Stunde von einer Fluglimousine abgeholt. Offenbar halten sie dich langsam für ein hohes Tier …«
    Jason musste lachen. Die Vorstellung, sich in den exklusivsten Kreisen der Stadt zu bewegen, missfiel ihm ganz und gar nicht. Schließlich bereitete er sich seit Jahren darauf vor. Und fast hätte er mit seinem nächtlichen Abenteuer auf dem Campus alles verdorben …
    Auf einmal war er sich sicher, dass die ganze Sache mit Edgar Frey nur ein schlechter Scherz gewesen war. Niemand hatte je die Absicht gehabt, ihn umzubringen. Wahrscheinlich waren die Pillen, die er in den Sondermüll-Container geworfen hatte, genauso unschädlich wie die Medizin, durch die er sie ersetzt hatte.
    Wie auch immer, die Sache war ausgestanden. Früher oder später würde Minerva es ihm erklären und beide würden über seine Leichtgläubigkeit lachen, über die Ernsthaftigkeit, mit der er in die Rolle des Helden geschlüpft war.
    Blieb nur noch das Fläschchen mit den Kapseln … Mit entschlossener Miene trug er es in die Küche und versteckte es in einem der obersten Hängeschränke ganz hinten. Dort würde es niemandem auffallen. Später würde er sich überlegen, wie er es zurückbringen konnte.
    Als er endlich in seinem brandneuen schwarzen Anzug und mit geschminkten Augen auf die Dachterrasse hinaufging, um auf die Limousine zu warten, war er bester Laune. Er hatte sich sogar einreden können, dass das Abendessen ganz nett werden würde, trotz der schlechten

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