Verdammt wenig Leben
getrübten Augen, aber es gelang ihm nicht. Das kurze Aufleuchten des Telefons hatte ihn völlig herausgerissen. Plötzlich konnte er nur noch an die Nachricht denken, die er gerade bekommen hatte.
Ob sie von Minerva war? Wohl schon; niemand außer ihr hätte es gewagt, mitten in einer Sendung Kontakt mit ihm aufzunehmen. Ja, je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er sich: Minerva hatte ihm ein neues Dokument geschickt, und diese beklemmende Gewissheit fegte sein Verlangen nach Alice hinweg wie eine eisige Windbö.
Alice sah ihn alarmiert an, sie wusste nicht, wie sie spontan auf diese unerwartete Situation reagieren sollte. Ein paar Minuten lang versuchte sie beharrlich, ihn mit Zärtlichkeiten in die Szene zurückzuholen. Sie wusste genau, was ihm besonders gefiel. Er bemühte sich natürlich, auf sie einzugehen, aber sein Körper weigerte sich. Und die ungeduldigen Flüche des Regisseurs, die er durch den Knopf im linken Ohr hörte, verstärkten seine Nervosität nur noch.
Schließlich wandte Alice sich abrupt ab.
»Was ist denn los mit dir?«, fragte sie.
Ihr Ton verriet größere Verärgerung, als sich die ergebene Freundin eines aufsteigenden TV-Stars – zumindest theoretisch – erlauben konnte. Offenbar sagte ihr der Regisseur etwas in der Richtung, denn ihre Stimme wurde sofort sanfter.
»Ich habe das Gefühl, du bist gar nicht bei der Sache«, improvisierte sie und strich dabei zerstreut über den Spitzenrand ihres BHs. »Es ist wegen der anderen, oder?«
Das war eine geniale Idee. Indem sie Clarissa ins Spiel brachte, verlieh Alice dem, was gerade passiert war, einen Sinn. Sie gab den Zuschauern dadurch die Möglichkeit, es zu verstehen, es als Teil des Drehbuchs zu akzeptieren, anstatt einen Patzer des Hauptdarstellers zu vermuten.
Jason hatte genug Bühnenerfahrung, um die plötzliche Eingebung seiner Serienfreundin zu bewundern. Es war ihm peinlich, die Szene verdorben zu haben, und er war Profi genug, um zu wissen, dass er die mangelnde Kooperation seines Körpers mit einer möglichst überzeugenden Erklärung wettmachen musste.
»Ich habe ein schlechtes Gewissen wegen ihr«, gestand er, ebenfalls improvisierend. »Es tut mir leid, Alice, ich kann einfach nicht anders. Meine Beziehung zu Clarissa ist noch so frisch …«
»Sie ist sehr attraktiv«, erwiderte Alice in dramatischem Ton. »Ich nehme an, körperlich hat sie mehr zu bieten als ich.«
»Oh nein, bitte sag so was nicht.« Hier musste Jason sich nicht besonders bemühen, um seinen Worten einen flehenden Unterton zu geben. »Du bist wunderschön. Keine Frau hat so viel zu bieten wie du. Aber manchmal, wenn wir zusammen sind … Dann tut es mir leid, dass ich mich ihr gegenüber schlecht benommen habe. Das ist alles.«
Alice stieß ein bitteres Lachen aus.
»So, so«, sagte sie. »Davon war vorgestern Nacht aber nichts zu merken … Was ist jetzt anders?«
Jason überlegte fieberhaft. Das Schweigen des Regisseurs war ein Hinweis, dass ihm gefiel, welche Richtung die Improvisation genommen hatte. Da er die Sexszene nun einmal ruiniert hatte, musste er das Publikum eben auf andere Weise zufriedenstellen. Er beschloss, aufs Ganze zu gehen.
»Vorgestern wollte ich einfach nur sicher sein, dass ich dich nicht wieder verlieren würde«, sagte er und lächelte mit vorgetäuschter Leichtigkeit. »Aber jetzt, da ich sicher bin, dass du wieder mir gehörst … Ich weiß nicht, ich habe eben das Gefühl, dass ich es mir leisten kann, Clarissa ein wenig zu vermissen.«
Was er gerade gesagt hatte, passte nicht recht zu seinen vorigen Sätzen und nicht einmal zu seiner Figur, so, wie er sie bis jetzt gespielt hatte. Diese unbekümmerte Arroganz würde seinem Publikum zeigen, dass in ihm auch ein kleiner Schuft steckte. Paul hatte schon mehrmals angedeutet, dass eine solche Wendung in seinem Umgang mit Frauen seine Attraktivität noch steigern würde. Doch Minerva hatte sich nie angemaßt, ihn in diese Richtung zu drängen.
Und jetzt, fast zufällig, war der Schuft in ihm von selbst zum Vorschein gekommen.
Alice machte ein gekränktes Gesicht, doch das Funkeln in ihren Augen verriet, dass sie an der Richtung, die die Szene genommen hatte, auch ein bisschen Spaß hatte.
»Bist du wirklich so sicher, dass ich dir gehöre?«, fragte sie traurig.
»Absolut«, erwiderte er lächelnd. »Sonst würdest du nicht in meinem Bett liegen.«
Sie seufzte bedrückt.
»Ich bin wohl eine ziemliche Idiotin«, sagte sie. »Ich hätte es dir
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