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Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Titel: Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Seyfried
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öffnet das Mansardenfenster, um sich ein wenig Kühlung zu verschaffen. Es ist zu warm in ihrem Dachkämmerchen, doch die Luft draußen ist fast genauso warm. Es wird erst in den Morgenstunden ein wenig abkühlen. Sie schaut eine Weile hinaus, dann schließt sie das Fenster wieder, damit keine Nachtfalter hereinkommen. Jetzt schaltet sie das elektrische Licht ein und setzt sich ans Tischchen vor dem Fenster. Sie schlägt ihr Skizzenbuch auf und blättert darin herum. Das Buch, im Foolscap-Format, ist in dunkelrotes Leinen gebunden und bereits halbvoll mit Zeichnungen, die sie meist mit Bleistift, hin und wieder auch mit Feder und Tusche, gemacht hat. Es ist ihr privates Skizzenbuch, ihr offizielles Drawing Book liegt im College und enthält hauptsächlich Studien von Blumen und Pflanzen, perspektivische Übungen, keltische Muster und dergleichen mehr.
    Dieses rote Zeichenbuch aber mag sie niemandem zeigen, hauptsächlich, weil es auch ihre zeichnerischen Träumereien enthält. Und weil sie nur wenige davon gelungen findet. Das jüngste Bild, eine Federzeichnung, ist schon fünf Wochen alt, aber es ist das erste, das ihr wirklich gut gefällt. Sie hat es in den Victoria Embankment Gardens gezeichnet: die geschwärzte Bronzestatue der trauernden Muse am Denkmal des Komponisten Sir Arthur Sullivan. Die lebensgroße Frau lehnt an dem Obelisk, der die Büste des Komponisten trägt, das Gesicht in der Armbeuge verborgen, und wendet dem Betrachter den Rücken zu. Sie ist nackt bis zu den Hüften, der Rest ist verhüllt von einem weiten Rock, der ihre Beine vollständig bedeckt und noch bis über die Stufe des Denkmals herabfällt. Sie findet ein paar Kleinigkeiten daran zu verbessern, schraubt ihr Tuscheglas auf und taucht die Feder ein. Sie schraffiert ein wenig an den Falten des Rockes herum, um sie plastischer zu machen, detailliert die zu einem kurzen Ponytail gebundenen Haare etwas mehr und korrigiert den Schatten der Muse auf dem weißen Stein des Obelisken. Sie hält das Buch weiter von sich weg und studiert die Zeichnung genau. Jetzt hat sie nichts mehr daran auszusetzen.
    Sie bekommt Lust weiterzuzeichnen. Eine Weile skizziert sie ziellos herum, Dinge, die sie heute nachmittag während des Spaziergangs mit Adrian so nebenbei bemerkt hatte; versucht sich aus der Erinnerung an dem runden Bootshäuschen an der Serpentine, das ein bißchen wie eine afrikanische Hütte mit Grasdach aussieht, zwei kleine Mädchen am Ufer beim Entenfüttern, aber das mißlingt ihr, und sie kritzelt es ärgerlich zu. Vom Trafalgar Square her schlägt die Glocke von St. Martin’s in the Fields. Es ist zehn Uhr, und ein paar Minuten danach ruft ihr Vater unten von der Treppe: » Gute Nacht, Vivian!«
    Sie öffnet die Tür einen Spalt und ruft zurück: » Gute Nacht, Vater! Schlaf gut!« Er geht immer um diese Zeit zu Bett, denn er steht stets um halb sechs auf. Sie schließt die Tür und dreht geräuschlos den Schlüssel im Schloß, dann kehrt sie zu ihrem Tisch zurück.
    Am Nachmittag hat sie sich zum zweiten Mal mit Adrian getroffen, wieder in Gatti’s Café, und Emmeline war auch diesmal wieder dabei, hat sich jedoch bald verabschiedet, wie sie es mit ihr verabredet hatte. Danach waren sie, trotz der Hitze, Arm in Arm im Hyde Park spazierengegangen. An den Ufern der Serpentine wimmelte es von Menschen, die Abkühlung suchten. Junge Frauen wateten mit geschürzten Röcken im seichten Wasser herum und scherzten mit klatschnassen Kerlen, die voll angezogen untertauchten und herumtollten. Von der Brücke beim Buck Hill Walk sprangen halbnackte Knaben in die lauwarme Flut, und der Park hallte wider von Kindergeschrei, Gelächter und Drehorgelmusik. Als die Sonne allmählich auf Bäume und Dächer herabsank, nahmen sie ein Cab zur Rupert Street, aßen ein italienisches Dinner im Hotel de Florence und tranken Chianti dazu. Dabei haben sie vereinbart, einander mit Vornamen anzusprechen. Adrian hat sie danach bis zur Haustür begleitet, wie es sich gehört, und sich verabschiedet. Zu Hause unterhielt sie sich eine Stunde mit ihrem Vater und trank ein Gläschen Sherry mit ihm, dann ging sie nach oben in ihr kleines Reich.
    Eine Weile sitzt sie da und träumt vor sich hin, dann beschließt sie, zu Bett zu gehen. Sie kleidet sich aus und wäscht Gesicht und Oberkörper mit dem lauwarmen Wasser vom Waschstand, das erfrischt sie ein bißchen. Nackt stellt sie sich vor den großen Spiegel und will sich das Nachthemd überziehen, aber mitten in der

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