Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Flottenstützpunkt noch sehr unfertig ist.
Der Fluß ist hier nicht ganz eine Meile breit. Nach ein paar Minuten legt die Fähre an. Er verläßt das Boot und sieht sich um. Eine Straße führt von hier in Richtung Stützpunkt, aber sie ist unfertig. An ihrem Ende schläft eine Dampfwalze in der Sonne, Arbeiter sitzen im Gras und machen Pause. Da er nicht direkt auf die große Baustelle gehen will, die sicherlich für Unbefugte gesperrt ist, wendet er sich nach rechts. Er hofft, auf der anderen Seite einen Weg zu finden, der auf den Höhenzug hinter Rosyth führt.
Das Jackett über dem Arm, die Krawatte gelockert, wandert er bis unter die Brücke. Hoch ragt sie über ihm auf, er bleibt stehen und staunt hinauf. Schwarz steht das komplizierte Gitterwerk der Träger und Streben gegen den blendendblauen Himmel. Was für ein gewaltiges Bauwerk!
Er geht weiter bis zu einer Straßengabelung und folgt der linken Straße, da sie bergauf führt, auf dem Wegweiser steht Inverkeithing. Die Straße windet sich bis fast zur Bahnstrecke hoch. Oben unterquert ein Seitenweg, der nach Dunfermline führen soll, die zweigleisige Bahnlinie. Der Weg zieht sich an einem steilen Abhang entlang und bietet ihm einen guten Überblick über die Anlage von Rosyth. Da er weit und breit niemanden sieht, hängt er die Jacke über einen Zaunpfahl, zeichnet eine Skizze der Anlage in sein Notizbuch und schreibt seine Beobachtungen dazu. Er notiert auch, daß auf dem Höhenzug oberhalb von Rosyth eine größere Arbeitersiedlung entsteht. Darunter, nicht weit von der großen Brücke und nahe am Wasser, steht die Ruine von Rosyth Castle. Etwas westlich davon hat man mit der Aufschüttung einer künstlichen Landfläche begonnen. Ein quadratisches Hafenbecken ist ausgespart und weiter dahinter noch ein größeres Becken. Eine Schleuse verbindet es mit dem Fluß. Vor dieser Schleuse, zum Forth River hin, liegt eine dreieckige Pier, auf der sich riesige Kohlenberge türmen. Ein Dampfkran auf Schienen dient offensichtlich zur Kohlenverladung. Seltsamerweise führt kein Eisenbahngleis dorthin, also werden die Kohlen wahrscheinlich von Dampfern oder Leichtern ausgeladen. Bis auf einen langgestreckten Ziegelbau und mehrere Wellblechbaracken ist kein fertiges Gebäude erkennbar. Seiler entdeckt Feldbahnschienen, Loren und gelagerte Baumaterialien– und nur wenige Arbeiter. Mit Hochdruck wird hier nicht gerade gearbeitet.
Nicht weit vom Ufer und auf gleicher Höhe mit der Burgruine liegen zwei Baggerprähme im Fahrwasser, ein großer Eimerkettenbagger und ein kleinerer Dredger. Der große Bagger arbeitet und wühlt eine breite braungelbe Lehmspur aus dem Grund, die mit der trägen Strömung langsam unter der Brücke hindurch treibt. Größere Kriegsschiffe sieht er nirgends, nur ein paar ältere Zerstörer sind in der Mitte des Forth River verankert.
Gegen drei Uhr fährt er zurück nach South Queensferry. Er bemerkt, wie er von den wenigen Fahrgästen neugierig betrachtet wird, und ist erleichtert, als das Boot anlegt. Wie ein gelangweilter Besucher bummelt er durch den Ort und entlang der Straße nach Edinburgh unter der Brücke hindurch. Ein Stück weiter verweilt er eine halbe Stunde am steinigen Strand und betrachtet die große Brücke und die kleine Insel Inch Garvie, auf die sich einer ihrer Pfeiler stützt. Auf ihr glaubt er Geschützstellungen zu erkennen, Mauern, halb im Gestrüpp verborgen, und eine mit Gras bewachsene Schanze. Auf die Brücke, die ihm den besten Überblick ermöglichen würde, wagt er sich nicht. Das wäre zu auffällig und würde womöglich die Polizei anlocken. Er sieht sich das imposante Bauwerk an und denkt, alle Kriegsschiffe, die in Rosyth kohlen oder repariert werden, müssen unter dieser Brücke durch. Würde sie einstürzen, wären sie im Forth River gefangen. Ein überraschender Vorstoß der schnellen Panzerkreuzer böte die Gelegenheit, sie aus 18 Kilometern Entfernung zusammenzuschießen und zum Einsturz zu bringen. Vielleicht könnte man sie auch einfach in die Luft sprengen. Damit wäre zugleich die strategisch wichtige Bahnverbindung nach dem Norden unterbrochen. Er wundert sich, was für ein Risiko die Briten auf sich nehmen.
Nun, hoffentlich kommt es nie soweit. Krieg mit England wäre das Ende seiner Liebe und auch ihrer Liebe, falls sie das gleiche fühlt wie er. Aber warum sagt sie ihm das nicht? Er schilt sich selbst: Du hast es ihr ja auch nicht gesagt.
Edinburgh, 9. August 1911, Mittwoch
Am Morgen zieht
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