Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
drittes Mal in Newcastle und erreichte Edinburgh nach insgesamt achteinhalb Stunden Fahrt pünktlich um 6 Uhr 30.
Drummond folgte Seiler durch die Waverley Station, verlor ihn jedoch in der riesigen Halle, in der es von Reisenden und Wartenden wimmelte, aus den Augen. Vergebens suchte er die Halle und den Vorplatz ab. Seilers heller Strohhut war dabei keine Hilfe, bei diesem Wetter trug hier fast jeder Zweite einen. Nach einer halben Stunde gab er auf und ging in das große Wellington Hotel neben dem Bahnhof. Dort hat er sich telephonisch mit Kell verbinden lassen und ihm in knappen Worten Bericht erstattet.
Jetzt wartet er immer noch auf eine Antwort von Kell, während es im Hörer rauscht und knistert. Die Uhr über der Rezeption zeigt 7 Uhr 58. Ist die Verbindung getrennt worden? Da hört Drummond ein Scharren wie von einem Stuhl, Räuspern und gleich darauf die Stimme des Captains: » Drummond? Hören Sie? Gut. Seien Sie morgen nachmittag um sechs Uhr dreißig an der Waverley Station, Melville kommt mit dem Expreß rauf. Sie suchen dann beide den Chief Constable auf und informieren ihn über die Angelegenheit.«
» Ja, Sir.«
» Nehmen Sie sich für die Nacht ein Zimmer im Moray Hotel in der Canongate Street. Um die Rechnung wird sich Melville kümmern. Im übrigen folgen Sie seinen Anweisungen.«
» Ja, Sir. Vielen Dank, Sir.«
Kein Lob vom Captain, aber auch kein Wort des Vorwurfs.
Edinburgh, 8. August 1911, Dienstag
Am Morgen nach dem Frühstück überläßt Seiler der Wirtin seinen von der gestrigen Reise zerknitterten Anzug zum Bügeln. Pünktlich um 6 Uhr 30 war er gestern nachmittag mit dem Expreß der Great Northern Railway von London in Edinburghs Waverley Station angekommen. Er hatte sich etwas beklommen gefühlt in dieser neuen Umgebung, während er sich durch das Menschengewühl in der großen Glashalle zur Gepäckabfertigung gekämpft hatte. Dort löste er seinen Koffer aus und verließ den Bahnhof durch den Haupteingang. Er nahm sich eines der Cabs, die in langer Schlange am Straßenrand warteten.
» Ich suche eine Pension irgendwo im Westen«, erklärte er dem Kutscher, » nicht zu teuer, nicht zu billig. Und ruhig gelegen.«
» Aye, Sir!«, erwiderte der Cabbie von seinem hohen Bock herunter. » Da weiß ich eine in Stockbridge, die wird Ihnen gefallen.«
Die Pension lag ganz nahe an dem Fluß, der den seltsamen Namen Water of Leith trägt. Seiler bezahlte den Cabbie und ging durch einen hübschen, gepflegten Vorgarten mit Rosen und Rhododendren auf das mit Efeu überwucherte Haus zu. Die Tür stand offen, wohl wegen der Hitze, und er trat in einen holzgetäfelten Raum. Hinten führte eine Treppe in das obere Stockwerk, und es gab einen kleinen Rezeptionstisch mit Glocke. Davor saß eine ältere Frau lesend in einem Sessel.
» Sie sind hoffentlich nicht einer dieser gräßlichen deutschen Spione, mein Herr?«, sagte die Wirtin und blickte von ihrem Buch auf. » Oder gar so ein englischer Verräter?«
Seiler erinnert sich, wie verdutzt er gestern war, aber er hatte sich schnell wieder gefasst und erwidert: » Aber sicher doch, meine Dame! Mein Auftrag lautet herauszufinden, wo es das beste Frühstück in Schottland gibt. Dort will ich dann für immer bleiben.«
Da lachte die Wirtin, legte das Buch weg und gab ihm seinen Schlüssel. Das Buch war Le Queuxs The Invasion of 1910.
Jetzt sitzt er in einem langsamen Vorortzug nach Dalmeny, einem kleinen Ort südlich des Forth River, der letzten Station unmittelbar vor der Firth-of-Forth-Eisenbahnbrücke. Die alte Dame hat mich ganz schön erschreckt, denkt er, aber angemerkt hat sie es mir nicht. Verdammt schlagfertig bin ich auch gewesen. Vielleicht bin ich ja der geborene Spion.
Er steigt in Dalmeny aus und geht eine lange Treppe mit vielen Stufen hinunter zur Uferstraße, auf der er unter der Brücke hindurch zum Fähranleger von South Queensferry gelangt. Hier wartet das Boot nach North Queensferry, ein klappriger alter Raddampfer. Beide Orte liegen einander gegenüber und fast im Schatten der mächtigen Eisenbahnbrücke. Nach einer Viertelstunde, als niemand mehr kommen will, legt das Boot ab und dampft, schräg gegen die Strömung ansteuernd, auf das Nordufer zu. Außer ihm sind gerade mal sieben Leute eingestiegen, ein paar Arbeiter, eine Marktfrau mit Körben und ein Pastor mit einem Fahrrad.
Seiler geht ganz nach vorn und schaut nach Rosyth hinüber. Selbst von seinem niedrigen Standpunkt aus ist leicht zu sehen, daß der
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