Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
deshalb darum ersucht, unseren Spielraum dahingehend zu erweitern, daß ich meine Detektive auch im Ausland einsetzen kann, sollte die Notwendigkeit eintreten. Das hat er mir zugesichert, und ich nehme an, daß er Sie in diesem Zusammenhang ein wenig beschnuppern will.«
Inzwischen haben sie die Charing-Cross-Eisenbahnbrücke unterquert. Sie kreuzen die Northumberland Avenue und biegen in den Whitehall Place ein. Dort steuert Kell auf einen Seiteneingang des War Office zu. Der Posten kennt den Captain, er salutiert und läßt sie ein.
Erst auf der breiten Marmortreppe bleibt Kell stehen und sagt mit gedämpfter Stimme: » Major Edmonds hat die Abteilung vor vier Jahren übernommen und außer alten Akten aus dem Burenkrieg so gut wie kein Material vorgefunden. Seither hat er den Laden einigermaßen auf Vordermann gebracht. Er ist der Überzeugung, daß in einem kommenden Konflikt Deutschland unser Hauptgegner sein wird; nicht zu Unrecht, wie ich meine. Ich nehme an, er wird Ihnen einen Vortrag zu diesem Thema halten. So, ich lasse Sie jetzt allein. Sein Büro ist im ersten Stock, links den Korridor entlang bis zum Ende. Dort gelangen Sie in sein Vorzimmer.«
Er zieht seine Uhr aus der Westentasche, klappt sie auf und wirft einen Blick aufs Zifferblatt. » Halb zehn. Sagen wir um zwei in meinem Büro?«
Major Edmonds ist in Uniform und hält sich kerzengerade. Er hat rotblondes Haar, das bereits weit zurückgewichen und an den Schläfen ergraut ist. Sein Gesicht ist blaß, und er trägt einen blonden, präzise gestutzten Schnurrbart. Der Blick, mit dem er ihn mustert, erinnert Drummond an einen Schuldirektor, der einen Verweis erteilen will.
Der Major deutet auf einen Sessel vor seinem Schreibtisch und nimmt selbst dahinter Platz.
» Mr. Drummond«, beginnt er ohne Umschweife, » als die Preußen 1870 in Frankreich einmarschiert sind, hatten sie das mit großer Weitsicht und Präzision vorbereitet. Offiziere in Zivil haben das Land bereist und nicht nur Festungen und Waffenplätze erkundet, sondern auch jede Kleinigkeit notiert, die der preußischen Armee beim Einmarsch von Nutzen sein könnte: Brücken, Bahnstrecken, Wasserläufe, Pferdedepots und so weiter. Deutsche, die in Frankreich ansäßig waren, sind in großer Zahl rekrutiert worden, um den Truppen den Weg zu weisen, aber auch, um Telegraphenleitungen zu unterbrechen und den Eisenbahnverkehr zu stören. Die sprichwörtliche preußische Gründlichkeit! Entsprechend schnell sind die Franzosen überrannt worden.«
» Ja, Sir!« erwidert Drummond. Er ahnt, dank Captain Kells Hinweis, worauf das hinauslaufen wird.
Major Edmonds legt die Hände flach auf den Tisch und fährt fort: » So wird es uns auch ergehen, wenn die Politik weiterhin die Augen verschließt und sich weigert, die Zeichen der Zeit zu erkennen! Sowohl die Informationsbeschaffung im Ausland, und hier meine ich insbesondere das Deutsche Reich, als auch die Erkennung und Verhinderung ausländischer Spionage werden auf geradezu kriminelle Weise vernachlässigt!«
Seine Miene ist mit den letzten Sätzen ernster und zugleich strenger geworden, aber jetzt schiebt er seinen Stuhl zurück, schlägt die Beine übereinander und fährt zu Drummonds Erstaunen im Plauderton fort: » Sie müssen sich vor Augen halten, Mr. Drummond, daß es bis vor eineinhalb Jahren keine Organisation auf unserer Seite gab, die sich auf professionelle Weise mit derlei Dingen auseinandersetzen wollte, obwohl natürlich alle Welt davon ausgeht, daß wir Briten einen großartigen und weltumspannenden Geheimdienst unterhalten. Kiplings Great Game and all that! Gut, wir kundschaften ein wenig bei den Russen, wegen Indien und Asien natürlich, und auch bei den Franzosen, aber das mehr aus alter Gewohnheit. Immerhin gibt es seit ein paar Jahren hier im War Office eine winzig kleine Abteilung für Nachrichtenbeschaffung, aber die eigentliche Arbeit bleibt meist der freiwilligen Initiative von Offizieren oder gar Privatleuten überlassen. Das ist die eine Seite. Und wer kümmert sich um die deutschen Spione, die in großer Anzahl hier gegen uns tätig sind? Eine Handvoll Männer gegen einen skrupellos planenden und mit großzügigen Mitteln ausgestatteten Gegner, den immer noch allzu viele als harmlosen Freund betrachten!«
Er blickt zum Fenster hin, streicht sich mit dem Daumennagel über den Schnurrbart und scheint zu überlegen. Dann faßt er Drummond wieder ins Auge. » Ich nehme an, Sie haben die Gerüchte über deutsche
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