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Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Titel: Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Seyfried
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aber er riecht nur nach Papier. Sorgfältig faltet er den Bogen zusammen und schiebt ihn ins Kuvert zurück. Dann steht er auf und öffnet das Fenster. Sonntag ist der einzige Tag, an dem es einigermaßen ruhig ist in diesem deprimierenden Zimmer an der Schönberger Straße. Werktags rumpeln hier die Kohlenzüge zu den Werften und Fabriken entlang, und der Lärm der Kräne und Niethämmer hört Tag und Nacht nicht auf. Dazu der Ruß und Rauch aus den Schornsteinen, der oft genug den Himmel verdunkelt und durch alle Ritzen ins Zimmer dringt. Heute aber lockt draußen die Sonne und kündigt den Frühling an.
    Er hat dienstfrei und nimmt sich vor, sich um seine Jolle zu kümmern, ein ehemaliges Marinebeiboot der Jollenklasse II ohne Schwert, 5,5 Meter lang und 1,80 Meter breit. Er hat sie ein paar Wochen vor seiner Abreise nach England entdeckt, in einer verkrauteten Ecke auf dem Gelände der Torpedoinspektion, zwischen Bretterstapeln, Fässern und verwitterten Rollen alten Tauwerks. Sie war mit einer morschen Persenning abgedeckt, und darunter fand sich alles, was dazugehörte, der Mast, die gerollten Segel, das Ruder und drei Paar Riemen. Irgend jemand hat sie dort vergessen, und der Verwalter des Geländes überließ sie ihm für zehn Mark.
    Er hat sie wieder in Schuß gebracht, abgedichtet und lackiert, den grünen Belag von den Messingbeschlägen abgeschliffen, die fehlende Laterne gekauft, das laufende Gut erneuert. Zuletzt hat er den Namen auf den Spiegel gepinselt: Betty, seine unvergessene Kinderliebe aus Southampton. Jetzt würde er es Vivian nennen, aber man soll den Namen eines Bootes, genausowenig wie den eines Schiffes, nicht ändern. Das bringt Unglück.
    Hoffentlich hat es den Winter gut überstanden. Ein frischer Lackauftrag wird aber mindestens nötig sein, und neue Segel sind inzwischen wahrscheinlich auch fällig. Er könnte einen der Männer von der Flottille mit der Arbeit beauftragen für ein paar Mark. Mal sehen, wer dafür in Frage kommt.
    Er zieht seine Uniform an, den Tagesanzug, hakt den Dolch ein und packt ein paar Sachen in eine Tasche, Vivians Brief, seine Schreibmappe und das Notizbuch. Dann geht er los, nach der Jolle sehen. Danach wird er irgendwo in der Stadt zu Mittag essen und Vivians Brief beantworten. Wie schön es wäre, wenn sie seinen Geburtstag zusammen feiern könnten. Aber da sie nicht hiersein kann, will er den Tag lieber allein verbringen.
    London, The Strand, 15. März 1912, Freitag
    Ab und zu ein Feierabendbier mit Clarke, das spielt sich allmählich so ein. Sie schlendern zusammen zur Strand und bummeln an teuren Geschäften, feineren Pubs und Restaurants vorbei. Hausnummer 100 bis 102 belegt ein großes Restaurant namens Simpson’s Tavern, und darunter steht in kleineren Goldlettern: Simpson’s Grand Cigar Divan. Drummond wundert sich über den Namen.
    » Ist das etwas Orientalisches?«, fragt er Clarke.
    Clarke bleibt stehen und späht zu der Schrift hinauf.
    » Glaub ich nicht«, sagt er, » soll aber ein ganz interessanter Laden sein. Sieht ziemlich teuer aus.«
    » Wieso interessant?«, will Seiler wissen. » Kennen Sie es?«
    » Nur vom Hörensagen. Gutes Restaurant mit Café im Souterrain und einem gepflegten Rauchsalon, nur für Gentlemen. Und hier heißt es: Damenzimmer im ersten Stock.«
    Er schaut Drummond an und zieht die Brauen zusammen: » Interessant daran ist, daß es Melvilles Stammlokal sein soll.«
    Drummond würde gern einen Blick reinwerfen, aber Clarke rät ihm ab. » Gut möglich, daß wir ihm da drin begegnen. Das möchte ich lieber nicht riskieren. Er pflegt sich dort mit seinen höhergestellten Kontakten zu treffen.«
    Schließlich landen sie im deutschen Bierhaus Appenrodt an der Strand. Hier wird Spatenbräu-Bier ausgeschenkt und am Tisch serviert. Clarke raucht seine übelriechenden Cheroots, die er sich in Indien angewöhnt hat, und erntet deshalb ein paar mißbilligende Blicke.
    » Sie scheinen einiges über Melville zu wissen, Stanley«, bemerkt Drummond, nachdem sie sich zugeprostet haben, » kennen Sie ihn schon länger?«
    Clarke verzieht das Gesicht. » Nicht viel länger als Sie. Ich bin ihm ja erst hier in Kells fröhlicher Runde begegnet. Ehrlich gesagt kann ich ihn nicht leiden, aber das behalten Sie bitte für sich, Randolph.«
    » Selbstverständlich. Ich mag ihn auch nicht.«
    » Es ist so, daß ich ihn ein wenig im Auge behalte, weil ich überzeugt bin, daß er einen schlechten Einfluß auf das Bureau und unsere Arbeit

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