Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
ausübt.«
Drummond nickt. » Ja, den Eindruck habe ich auch.«
» Er ist ein sehr fähiger und erfahrener Detektiv, kein Zweifel, aber ich fürchte, daß er den Captain, wie soll ich sagen, manipuliert?«
Er nimmt einen kräftigen Schluck aus seinem Glas, wischt sich den Schaum aus dem Schnurrbart und blickt Drummond von der Seite an. » Und dann gibt es da ein paar ziemlich dunkle Punkte in seiner Vergangenheit.«
Drummond zieht die Augenbrauen hoch. » Wirklich?« Er hat von Melvilles aufsehenerregenden Erfolgen gegen Anarchisten gehört, Bombenleger mit Mordplänen gegen königliche Häupter.
Clarke sagt: » Kennen Sie die Geschichte von den Walsall Anarchists, die er 1892 verhaftet hat?«
» Ich habe davon gehört«, erwidert Drummond, » war etwas faul daran?«
» Könnte man sagen. Soviel ich weiß, waren diese Leute zwar Anarchisten, aber harmlose Idealisten, ein Debattierclub, im Grunde nur Schwätzer. Zum Morden und Bombenlegen hatte keiner von denen das Zeug. Bürgerliche Existenzen, spießbürgerliche sogar. Keiner unter fünfzig, kleine Ladenbesitzer, ärmliche Angestellte, verheiratet, Kinder, all so was.
Nun, Melville soll den Leuten Bomben untergeschoben haben, hat einen Agent Provocateur benutzt, der sich da eingeschmuggelt hat. Dann hat er sie mit großem Trara einkassiert. Die armen Teufel sind für zehn und mehr Jahre hinter Gitter geschickt worden. Ebenso hat er es mit Exilrussen gemacht. Leute, die von der Ochrana verfolgt wurden und nach England geflohen sind. Wieder hat er Bomben gefunden, und wieder ist er gefeiert und befördert worden. Hat einen Orden gekriegt, Member of the Royal Victorian Order, und so weiter.«
Drummond fällt Joseph Conrads Buch The Secret Agent ein. Er hat es auf seiner letzten Seereise gelesen. Darin ging es um Exilrussen in London, denen im Auftrag der zaristischen Botschaft Dynamitattentate untergeschoben werden sollten, damit die englische Polizei gegen sie durchgreift oder sie nach Rußland deportiert. Könnte es sein, wundert er sich, daß dieses Werk von Melvilles Erfolgen gegen angebliche Terroristen inspiriert worden ist?
» Ich phantasiere mir das nicht zusammen«, meint Clarke, » ich bin den Gerüchten nachgegangen, heimlich versteht sich, und habe mich mit Zeugen unterhalten.«
» Was waren das für Zeugen?«
» Familienangehörige, Kollegen, solche Leute. Die wußten meistens nicht viel. Aber es gibt einen Zeugen, der ernst zu nehmen ist, ein ehemaliger Sergeant bei der Special Branch, der unter Melville gearbeitet hat. Der hat seinerzeit diese Vorwürfe gegen ihn erhoben, und er wußte auch von anderen Fällen, in denen sich das gleiche abgespielt hat. Offensichtlich ist das Melvilles Erfolgsrezept. Wie dem auch sei, er hat dafür gesorgt, daß der Sergeant sofort entlassen wurde, worauf sich dieser an die Presse wandte. Scotland Yard dementierte, und die Aussagen des Sergeant sind unterdrückt worden.«
Clarke wirft einen Blick über die Schulter und sagt: » Falls Sie mehr wissen wollen, gern. Aber dann sollten wir woanders darüber sprechen. Hier wird es mir zu voll.«
Clarke begleitet Drummond zur Tube Station Tottenham Court Road. Chancery Lane wäre näher gewesen, aber so spart er sich das Umsteigen, und es bleibt ihnen mehr Zeit für ihr Gespräch.
» Ich habe den Sergeant besucht«, sagt Clarke, nachdem sie die Strand überquert haben, » um mir seine Version der Ereignisse schildern zu lassen. Er arbeitet jetzt als Lagerverwalter in den Army and Navy Stores in Westminster. Schade drum, hat mir einen ausgezeichneten Eindruck gemacht. Erfahren, aufrecht und ehrlich. Zu ehrlich. Hätte es weit bringen können, wenn er sich nicht mit Melville angelegt hätte.«
» So einen Mann könnten wir bei uns gut brauchen, nicht wahr?«, wirft Drummond ein.
Clarke nickt nachdenklich. » Ja, in der Tat. Aber das Bureau wird finanziell so knapp gehalten, daß keine weitere Stelle mehr besetzt werden kann. Jedenfalls, der Mann heißt Patrick McIntyre und zeigte mir alles, was er an Material über die Angelegenheit hat: seine schriftliche Aussage, Zeitungsausschnitte sowie eine offizielle Akte der Special Branch mit dem roten Stempel ›Most secret‹. Dieses Dokument hat mir fast die Sprache verschlagen. Es beweist nicht nur die Verbindung von Melville zu einem gewissen Auguste Coulon, der in Walsall den Agent Provocateur gespielt hat, sondern auch die zu Pyotr Rachkovsky, dem Chef der russischen Geheimpolizei. Ein Menschenfresser. Dieser
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