Verdeckt
die Frau an seiner Seite. Dass sie so draufgängerisch war, gefiel ihm. Sam klopfte noch einmal an. Diesmal mit einem Stirnrunzeln.
»Es muss jemand da sein. Es ist immer jemand da.«
Er merkte, dass sie ihn aus dem Augenwinkel musterte.
Während sie warteten, trommelte sie ungeduldig mit der Stiefelspitze auf den Boden. Michael hörte Geräusche im Trailer, dann öffnete jemand die Tür.
»Hey, Sam.« Der Gruß kam von einem schlaksigen Teenager, der gerade das kritische Alter erreicht hatte, in dem das Längenwachstum dominierte.
»Hi Bruce. Ist deine Mom da?«
Der Junge machte die Tür ganz auf. Er streifte Michael mit einem gleichgültigen Blick. »Nein. Sie ist in der Stadt.«
Michael und Sam zwängten sich durch den schmalen Durchgang.
»Und wer passt auf die Kleinen auf?«
»Lila. Dort drüben.« Er zeigte auf einen kleineren Trailer auf der anderen Seite der Freifläche.
Sam machte auf dem Absatz kehrt und schob Michael gleich wieder aus der Tür. Er stolperte einen halben Schritt rückwärts und verlor beinahe das Gleichgewicht. Ihre Augen sahen an ihm vorbei.Erstaunt bemerkte er darin so etwas wie … ein Aufglimmen von Angst? Unmöglich. Nicht bei ihr. Ohne auf ihn zu warten, hastete sie die Treppe hinunter.
Bruce rief hinter ihr her: »Hey, Sam. Dad wollte, dass du bei deinem nächsten Besuch zum Essen bleibst.«
»Aber heute nicht«, antwortete sie über die Schulter hinweg. Inzwischen rannte sie beinahe.
Michael holte sie ein, packte sie am Arm und zwang sie, stehenzubleiben. Dann rückte er mit dem Gesicht ganz nahe an sie heran. »Hey! Was sollte das denn eben?«
»Was meinen Sie?«
Er musterte sie eingehend. Sie starrte unverwandt zurück. Doch dann weiteten sich ihre Pupillen ein klein wenig und sie schüttelte seine Hand von ihrem Arm.
»Ich meine, warum haben Sie mich fast über den Haufen gerannt, um aus dem Haus zu kommen? Und warum haben Sie fast angefangen zu rennen, als der Junge das mit der Essenseinladung gesagt hat?«
»Ich bin nicht gerannt.« Sie drehte den Kopf weg.
Michael lächelte grimmig. »Ihnen mag das nicht so vorkommen. Aber Menschen, die sich in normalem Tempo bewegen, würden von Rennen sprechen.«
Sam starrte ihn an und hob trotzig das Kinn. Wie ein kleines Kind, das einem Schulhofrabauken die Stirn bot. »Ich fühle mich hier nicht wohl. Ich bin nicht gern in den Trailern.«
Michael wich ein kleines Stück zurück und ließ ihre Worte auf sich wirken. Auch er fand die drangvolle Enge in diesen Behausungen alles andere als einladend. Aber er wusste, dass es für Sams fluchtartigen Rückzug noch einen anderen Grund geben musste, den sie ihm allerdings nicht verraten wollte. Er wechselte das Thema. »Wer ist Lila?«
Sams Anspannung legte sich. Mit einer Kopfbewegung schüttelte sie sich ein paar lästige Ponyfransen aus den Augen. »Ich glaube, sie ist die Frau, nach der Sie suchen. Schon ein bisschen älter.«
»Linda. Lila. Vermutlich hat sie ihren Namen geändert. Das täte ich auch, wenn meine Söhne Serienkiller wären.«
»Söhne?« Die schwarzen Brauen schossen in die Höhe.
Verplappert. Verdammt. Er hatte ihr erzählt, er würde nach dem zweiten Sohn und der Mutter suchen, dabei aber nicht erwähnt, dass die Polizei den zweiten Sohn ebenfalls verdächtigte. Sein Atem dampfte in der Schneeluft. Wie viel sollte er ihr sagen?
Michael entschied sich für die Flucht nach vorn. »Laut Polizei könnte es vielleicht sein, dass ihr jüngerer Sohn gerade mordend durch Portland zieht. Es sind Leute getötet worden, die dazu beigetragen haben, seinen Bruder in den Knast zu bringen. Deshalb möchte ich mit der Mutter reden.« Würde Sam sich nun weigern, ihm weiterhin zu helfen?
Sie musterte ihn skeptisch. »Klingt nach einer persönlichen Mission.«
Er richtete sich auf. Merkte man ihm tatsächlich an, wie ungeheuer wichtig ihm die Sache war? Er nickte kurz. »Schon möglich.«
»Dann sehen wir doch mal nach.« Sie stapfte die wackelige Treppe des kleineren Trailers hinauf und klopfte energisch an die Tür. Ein scharfer Wind blies um die Ecken. Sam vergrub Kinn und Nase im Jackenkragen. Michael stand zwei Schritte hinter ihr und stampfte lächelnd den Schnee von seinen Stiefeln. Anscheinend hatte er sich für seine Mission die passende Partnerin ausgesucht.
Eine ältere Frau in einem verwaschenen Hauskleid mit Blumen-muster öffnete die Tür einen Spalt breit und sah Sam mit müden Augen an. Zur Begrüßung nickte sie nur stumm. Dann wartete sie
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