Verdeckt
»Haben Sie von dem ermordeten Cop gehört?«
Er wusste davon? Lacey nickte. Als sie am Morgen mit Michael telefoniert hatte, hatte er kurz den Tod eines pensionierten Cops erwähnt. Die Polizei hatte ihn gebeten, vorerst nichts darüber zu schreiben.
Aber woher wusste Jack …?
»Cal Trenton war vor seiner Pensionierung mein Partner. Wir haben bei der Polizei in Lakefield gemeinsam Dienst geschoben.«
Grundgütiger.
Jack Harper steckte mindestens so tief drin wie sie.
»Und sie kennen dort noch Leute?«, fragte sie.
Er nickte.
Vielleicht konnte er etwas über Suzanne und den Mord an dem Cop herausbekommen. Sie hatte in Lakefield angerufen, war aber mit knappen Worten abgespeist worden. Die Polizei redete mit niemandem. Aber vielleicht machten die Cops bei einem Exkollegen eine Ausnahme. Womöglich bekam sie durch ihn einige Antworten. Das war sie Suzanne schuldig.
Lacey schaute hilfesuchend den Flur entlang. Sie hatte nicht das geringste Verlangen, zusammen mit einem Wildfremden den ganzen Alptraum noch einmal aufzuwärmen. Gleichzeitig sehnte sie sich weg aus diesem Gebäude und von den verzweifelten Eltern. Auf ihrem Schreibtisch stapelte sich dringende Arbeit, aber im Augenblick konnte sie sich sowieso nicht konzentrieren. Um die zahnmedizinischen Unterlagen durchzugehen, brauchte sie einen klaren Kopf, sonst wurde sie den Opfern nicht gerecht. Sie traf eine Entscheidung. »Okay. Dreißig Minuten. Aber dann muss ich hier weitermachen.«
Lacey saugte die köstlichen Düfte ein. Sie hoffte, dass sie den Gestank von verbranntem Fleisch aus ihrer Nase vertreiben würden. An die meisten Gerüche im gerichtsmedizinischen Institut war sie gewöhnt. Desinfektionsmittel und Tod. Meist bemerkte sie sie gar nicht mehr. Doch der Brandgeruch war besonders aufdringlich.
In dem kleinen Deli gegenüber war sie Stammgast. Die Panini und die dicke Muschelsuppe hatte sie schon als Teenager geliebt und sich an vielen Wochenenden hier mit ihrem Vater zum Lunchverabredet. Lacey pustete in ihre heiße Schokolade, schob alle Gedanken an zwei verbrannte junge Mädchen und ein trauerndes Elternpaar beiseite und musterte verstohlen den Mann, der ihr gegenübersaß.
Die Begegnung mit den verzweifelten Eltern steckte Lacey noch in den Knochen. Ein bisschen Smalltalk war eine willkommene Abwechslung und es gelang ihnen, sich erstaunlich ungezwungen zu unterhalten.
Sie hatte im Lauf des Wochenendes eine kleine Internet-recherche über Jack Harper angestellt. Der Mann, den sie am Samstagmorgen unter so ungewöhnlichen Umständen kennengelernt hatte, hatte sie neugierig werden lassen.
Harper hatte mit seinem Familienunternehmen innerhalb relativ kurzer Zeit ein Vermögen gemacht. Zu ihrer Erheiterung hatte sie im
Portland Monthly
einen Artikel entdeckt, in dem er als einer der zehn begehrtesten Junggesellen der Stadt bezeichnet wurde. Auf dem dazugehörigen Bild trug er einen Bauhelm und stand mit einem herausfordernden Lächeln vor dem Rohbau eines Bürohochhauses. Diese verdammten Augen. Sie grinsten jeder verfügbaren Frau der Stadt entgegen. Viele von ihnen würden für ein Date mit ihm vermutlich über glühende Kohlen gehen. Lacey betrachtete verstohlen seine Züge. Sie musste zugeben, dass er sehr gut aussah. Das Weibchen in ihr reagierte instinktiv auf sein männlich markantes Äußeres. Die grauen Augen waren genauso kühl und stechend, wie sie sie vom Samstag in Erinnerung hatte. Wie er wohl aussah, wenn er schlecht gelaunt war? Wenn diese Augen zornig funkelten, wollte sie lieber nicht der Grund dafür sein. Das kräftige Kinn und die beiden senkrechten Linien zwischen den Brauen verrieten ihr, dass er einen starken Willen hatte.
Fasziniert schaute sie ihm beim Essen zu. Mit drei Bissen hatte er die Hälfte seines Sandwichs vernichtet. Nebenher leerte er fast mechanisch seine Pommestüte – und das ohne dabei auszusehen wie ein Schwein. Er war ständig in Bewegung, aß, redete, bewegte die Hände und Arme, wirkte aber keinesfalls nervös. Vermutlich verbrannte er auf diese Art die meisten Kalorien, die er zu sich nahm.
Sie selbst hatte seit dem College nicht mehr so gegessen. Und damals hatte sie noch mindestens sechs Stunden täglich fürs Turnen trainiert.
Lacey betrachtete das gegrillte Sandwich auf ihrem Teller. Sie hatte gerade mal zwei halbherzige Bissen genommen und Jack war fast fertig. Lacey schob das Essen beiseite. Eigentlich hatte sie keinen Hunger. Die Gedanken an DeCosta und Suzanne verdarben ihr
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