Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
bemerkt?«
    Es war lange still. Dann: »Sagen Sie das noch mal, Sir. Ich glaube, ich hab da was nicht mitgekriegt.«
    »Da unten ist ein verdammtes Loch. Ein Ausgang aus der Grube. Hat das niemand bemerkt?«
    Schweigen.
    »O Mann. Sagen Sie nichts. Ich werde es mir ansehen. Schicken Sie jemanden rein, ja? Ich will nicht, dass schwer bewaffnete Polizei hinter mir herrasselt, aber es wäre schön zu wissen, dass da jemand in der Grube sitzt und mir Rückendeckung gibt.«
    Wieder folgte eine kurze Pause. »Ja«, entgegnete der Sergeant dann, »das ist kein Problem. Sie sind schon unterwegs.«
    »Aber achten Sie darauf, dass es von außen so clean aussieht wie vorher. Falls Moon wirklich auftaucht, braucht es hier nicht von Männern in Schwarz zu wimmeln.«
    »Verstanden.«
    Caffery lief durch die Taubenscheiße zurück zur Grube und rollte sich wieder hinein. Nachdem er die Spanplatte schon halb von der Latte gelöst hatte, ließ sie sich mühelos ganz aufstemmen. Er legte sie zur Seite, beugte sich vor und betrachtete, was dahinter zum Vorschein gekommen war: ein Tunnel, groß genug für einen Mann. Selbst ein großer Mann würde sich nur ein wenig bücken müssen, um hindurchzugehen. Schmutziges Zeitungspapier lag auf dem Boden, so weit Caffery sehen konnte. Er leuchtete mit seinem Lämpchen hinein und entdeckte eine mit Kanthölzern abgestützte Lehmdecke, die aussah wie eine Kulisse aus einem der großen Kriegsfilme, aus Gesprengte Ketten zum Beispiel. Der Gang schien etwas mehr als einen halben Meter breit zu sein. Primitiv, aber zweckmäßig: Jemand hatte hart gearbeitet, um sich einen geheimen unterirdischen Stollen zu bauen.
    Er lief ein paar Schritte weit hinein und folgte dem Lichtstrahl. Hier unten war es wärmer als oben und die Luft schwer vom torfigen Geruch von Pflanzenwurzeln. Dumpfe Stille erfüllte den Gang. Vorsichtig machte er noch ein paar Schritte. Ab und zu blieb er stehen und lauschte. Als das Licht der Werkstattgrube hinter ihm zu einem kleinen Punkt zusammengeschrumpft war, knipste er die Lampe aus und blieb eine Weile mit geschlossenen Augen stehen. Er konzentrierte sich auf sein Gehör und lauschte in die Dunkelheit.
    Als Kind hatte er das Zimmer mit seinem Bruder Ewan geteilt, und wenn das Licht ausging, hatten sie ein Spiel gespielt: Wenn ihre Mutter die Tür zumachte und die knarrende Treppe hinunterging, kam Ewan auf Zehenspitzen über die blanken Dielen und schlüpfte zu Jack ins Bett. Sie lagen nebeneinander auf dem Rücken und bemühten sich, nicht zu kichern. Sie waren zu klein, um schon über Mädchen zu reden; ihre Gespräche drehten sich um Dinosaurier und den Schwarzen Mann und wie es sein würde, als Soldat jemanden zu töten. Sie versuchten sich gegenseitig eine Scheißangst einzujagen, und das Spiel bestand darin, dass jeder die gruseligste Geschichte erzählen musste, die ihm einfiel. Dann durfte er seinem Bruder die Hand auf die Brust legen und fühlen, ob dessen Herz jetzt schneller schlug. Der, dessen Herz am schnellsten klopfte, hatte verloren. Ewan war der Ältere und gewann fast immer. Jack hatte ein Herz wie ein Dampfhammer, ein großes, kräftiges Organ, das ihn am Leben halten würde, bis er neunzig wäre, sagte der Doktor – wenn er es nicht in Glenmorangie marinierte. Er hatte nie gelernt, es zur Ruhe zu bringen. Und auch jetzt sprang es fast aus seiner Brust und pumpte das Blut wie rasend durch die Adern, weil er das Gefühl hatte, nicht allein hier unten zu sein.
    Er blickte sich nach dem kleinen Lichtpunkt des Eingangs um. Das Backupteam war unterwegs. Darauf musste er vertrauen. Er schaltete die Lampe wieder ein und leuchtete weiter in den Stollen hinein. Der matte Lichtstrahl zersplitterte in den Schatten. Da war nichts. Da konnte nichts sein. Die Spanplatte war außen festgenagelt gewesen. Trotzdem konnte er sich vorstellen, dass jemand in der Dunkelheit um ihn herum atmete.
    »Hey, Ted«, sagte er versuchsweise. »Wir wissen, dass Sie hier sind.«
    Seine Stimme kam zurück. Wir wissen, dass Sie hier sind . Die Lehmwände machten sie stumpf, und sie klang flach. Nicht überzeugend. Er ging weiter und hielt die Lampe mit steif ausgestrecktem Arm vor sich. Seine Nackenhaare sträubten sich, und er sah das Gesicht des Walking Man vor seinem geistigen Auge: Er ist cleverer als alle andern . Noch einmal acht Schritte, und er stand vor einer Wand. Er hatte das Ende des Tunnels erreicht. Er drehte sich um und schaute zum Eingang zurück. Leuchtete umher, zu den

Weitere Kostenlose Bücher