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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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In der Höhle richtete sie sich auf, warf den Kopf zurück und schirmte die Augen vor dem grellen Licht ab. Caffery nickte ihr zu und lächelte schmal. Sie hatte ihr natürliches strohblondes Haar zusammengebunden und sah zu jung und zu nett aus für diesen Job.
    »Hat das etwas mit diesen Carjackings zu tun?«, fragte sie.
    »Sagen Sie’s mir.«
    Die Frau hob die Brauen und schaute den Kriminaltechniker fragend an. Aber der zuckte nur die Achseln und widmete sich wieder seinen Boxen und Trittplatten. »Okay.« Ein unterschwelliges nervöses Zittern lag in ihrer Stimme. »Schon gut.« Vorsichtig durchquerte sie die Kammer und blieb dabei auf den Trittplatten. Am Kopfende der Leiche blieb sie stehen. »Äh – darf ich das da aufschneiden? Damit ich das Gesicht sehen kann?«
    »Hier.« Der Spurensicherer gab ihr eine Schere aus seinem Koffer, bog eine der Lampen herunter, um zu beleuchten, was sie tat, und holte eine Kamera heraus. »Lassen Sie mich nur fotografieren, was Sie tun.«
    Caffery löste sich von der Wand, ging auf den Trittplatten hinüber und blieb neben der Ärztin stehen. Ihr Gesicht wirkte blass im grünlichen Licht der Leuchtstofflampen, und auf ihren Wangen hatten sich runde, mattrosa Flecken gebildet.
    »Okay.« Sie lächelte ihn matt an, war völlig überfordert, zu jung. Versuchte, sich erwachsen zu benehmen. Vielleicht war es ihr erstes Mal. »Na, mal sehen, was wir da haben.«
    Als der Cheftechniker seine Fotos gemacht hatte, fasste sie das Laken mit behandschuhten Fingern an, um die Schere unter den Stoff zu schieben. Ein leises, reißendes Geräusch war zu vernehmen. Caffery wechselte einen Blick mit dem Kriminaltechniker. Die Unterseite des Lakens klebte an irgendetwas fest.
    Aber das bist nicht du, Emily. Das bist nicht du …
    Die Ärztin kämpfte mit der Schere und bemühte sich, ein Loch in das Laken zu schneiden. Ihre Hände zitterten, und es schien ewig zu dauern, bis die Schere in das Gewebe drang. Sie hielt einen Moment lang inne und legte den Handrücken an die Stirn. Lächelte. »Entschuldigung. Es ist so zäh.« Dann, beinahe zu sich selbst: »Okay … was jetzt?« Sie fing an zu schneiden, in gerader Linie, einen Schnitt von vielleicht fünfundzwanzig Zentimetern. Sehr vorsichtig zog sie den Stoff auseinander. Es wurde still. Sie sah Caffery mit gerunzelter Stirn an, als wollte sie sagen: Da. Das haben Sie nicht erwartet, was? Er kam einen Schritt näher und leuchtete mit seiner kleinen Lampe unter das Leichentuch. Wo er ein Gesicht vermutet hatte, erkannte er einen Totenschädel, der am Laken klebte, bedeckt mit einer pulvrigen braunen Substanz. Martha war es auch nicht. Aber das hatte er vielleicht schon aus dem Zustand des Lakens geschlossen. Dieses Mädchen war nicht erst seit ein paar Tagen tot. Dieses Mädchen war seit Jahren tot.
    Er schaute den Kriminaltechniker an. »Sharon Macy?«
    »Darauf würde ich wetten.« Er machte noch ein paar Fotos. »Wenn ich ein Spieler wäre. Sharon Macy. So wahr mir Gott helfe. Ich hätte geschworen, ich würde ihre Leiche nie zu Gesicht bekommen. Niemals.« Caffery trat einen Schritt zurück. Sein Blick wanderte über die roh aus der Erde gehauenen Wände, die primitiven Stützbalken. Moon musste daran schon gearbeitet haben, bevor er geschnappt worden war. So etwas erforderte Intelligenz und Kraft – etwas so Komplexes und Zweckmäßiges zu bauen. Der Eingang zu dieser Kammer war gut versteckt gewesen; Caffery hätte ihn beinahe übersehen. Es konnte noch weitere Tunnels, weitere Kammern geben. Vielleicht befanden sich Emilys und Marthas Leichen auch irgendwo hier unten. Da, dachte er, du hast das Wort Leichen benutzt. Du glaubst also, sie sind tot.
    »Inspector Caffery?« Eine Männerstimme drang aus dem Tunnel. »Inspector Caffery – sind Sie da?«
    »Ja? Wer spricht?« Er ging über die Trittplatten zum Eingang und rief in den Tunnel hinein: »Was gibt’s?«
    »Unterstützungseinheit, Sir. Ich hab einen Anruf für Sie. Eine junge Frau. Kann Sie über Ihr Telefon nicht erreichen – sagt, es ist dringend.«
    »Bin schon unterwegs.« Er winkte der Ärztin und dem Kriminaltechniker zu, wandte sich ab und bückte sich, um durch den niedrigen Tunnel zurückzulaufen. Der Officer der Unterstützungseinheit stand in der Reparaturgrube. Seine breitschultrige Gestalt hielt das Licht ab. Caffery sah das Blinken an dem Telefon, das er unter dem Chassis des Cortina in die Höhe hielt. »Ich muss damit hier draußen bleiben, sonst verliere

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