Verderbnis
kippte auf den Sims an der Seite, öffnete den Reißverschluss ihres Anzugs, schwang die Füße in den schweren Stiefeln auf den Sims und stemmte den Hintern ein kleines Stück hoch, damit sie die Hosenbeine herunterstreifen konnte. Die Haut an ihren Schenkeln war weiß und fleckig wie die eines tiefgefrorenen Huhns, und die Härchen standen aufrecht. Die Stelle, wo die Klinge sich hineingebohrt hatte, sah stumpf blau aus. Sie legte die Daumen rechts und links davon auf die Haut. Sofort erschien ein schmaler roter Halbmond, der schnell dicker wurde, anschwoll und über die Ränder quoll. Zwei Blutrinnsale flossen an ihrem aufgerichteten Schenkel herunter und verschwanden in ihrer Unterwäsche.
Sie drückte mit beiden Händen auf die Wunde und biss sich auf die Lippe. Die Oberschenkelarterie war nicht verletzt, denn sonst wäre das Blut hochgeschossen und an die Bootswand gespritzt. Trotzdem konnte sie sich keine blutende Wunde leisten. Nicht hier unten in der Kälte. Sie riss sich das T-Shirt herunter, presste es auf die Wunde und band es auf der Rückseite des Oberschenkels mit einem Weberknoten zusammen. Dann streckte sie das Bein aus, legte die Hände in den Schoß und beugte sich vor, um möglichst viel Druck auf das Bein auszuüben.
Sie blieb lange so sitzen, stemmte sich gegen den Schmerz und zwang sich, daran zu denken, wie sie hier herauskam.
Da vernahm sie ein Geräusch aus dem Luftschacht. Das Kreischen von Metall auf Stein. Sie hob den Kopf. Noch ein Geräusch – und jetzt wusste sie, dass sie es sich nicht einbildete. Ein Stein oder etwas anderes Hartes war durch den Schacht heruntergefallen und mit einem Platschen im Wasser versunken. Dann folgten noch mehr Steine, ein bisschen Laub, ein Zweig.
Das war niemand, der Dinge in den Schacht warf, sondern jemand, der herunterkletterte.
57
S ie irren sich. Er beobachtet Sie nicht. Sie können sich entspannen.«
Caffery stand mit einem Mann von der Hightecheinheit aus Portishead, einem großen, äußerst muskulösen, rotblonden Typen, der nicht aussah wie ein Polizist, in der Küche. Er trug einen bleistiftdünnen Schlips und einen schrägen Sechziger-Jahre-Anzug mit schmalen Revers; seine Tasche bestand aus Krokoimitat, und er fuhr einen Volvo-Veteranen. Aber er schien zu wissen, was er tat. Caffery hatte die Kamera aus dem Loch in der Wand holen und auf dem Küchentisch auf ein Stück Pappe legen müssen. Jetzt standen die beiden Männer davor und betrachteten sie.
»Ich schwöre Ihnen, er beobachtet Sie nicht.«
»Aber das Dings an der Rückseite. Das ist doch ein Sender, oder?«
»Yep. Wahrscheinlich hat er es mit einem Highspeed- USB -Empfänger verbunden, sodass er direkt auf die Festplatte aufzeichnen kann. Keine Ahnung – vielleicht hatte er vor, da draußen irgendwo in einem Auto herumzusitzen und sich alles auf dem Laptop anzusehen. Aber jetzt ist er nicht da.«
»Sind Sie sicher?«
Der Mann lächelte gelassen. »Hundertzwanzigprozentig. Wir haben das Ding gescannt. Es ist auch nicht weiter beeindruckend. Eher Low End. Gibt’s in jedem Laden. Billigware. Die Geräte, die bei den Sicherheitsdiensten eingesetzt werden, sind ungefähr hundertmal stärker. Arbeiten mit Mikrowellen. Aber das hier? Er würde sich irgendwo auf dem Gelände aufhalten müssen, um etwas empfangen zu können, und die Einheiten haben alles abgesucht. Da draußen ist niemand. Sorry. Ich muss zugeben, einen Moment lang war ich aufgeregt. Ich dachte wirklich, wir finden das Schwein in seinem Auto, mit einem hübschen kleinen Sony auf dem Schoß.«
Caffery musterte ihn von oben bis unten. Die Hightech-einheit hatte bereits die Telefonnummer ermittelt, von der aus Moon das Foto geschickt hatte. Es handelte sich um eine vor mindestens zwei Jahren in einem Supermarkt im Süden Englands gekaufte Prepaidkarte. Das Telefon war abgeschaltet, aber sie hatten schon herausgefunden, von wo man die MMS abgeschickt hatte: an der M4, in der Nähe der Ausfahrt 16. Auf halbem Weg zwischen irgendwo und nirgendwo also. Danach hatte die Einheit diesen rothaarigen Typen zum Pfarrhaus geschickt. Seine Füße steckten in spitzen Schuhen, und seine Brille mit dem schwarzen Gestell schien geradewegs aus einer alten BBC -Serie zu kommen. Caffery musterte die Schuhe und dann das Gesicht. »Und wie soll man Sie nennen? Q?«
Der Kerl lachte. Es klang nasal und nicht amüsiert. »Den hab ich noch nie gehört. Wirklich noch nie . Stimmt schon, was man über die MCIU sagt. Ihr Jungs seid wirklich
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