Verderbnis
dass er nicht …«, er blickte zum Fenster hinauf, »… dass er da drin nichts getan hat. Ich möchte nur sicher sein.«
Caffery wollte sich das Zimmer auch ansehen, aber aus einem anderen Grund. Er wollte herausfinden, ob er tun konnte, was der Walking Man tat: durch seine bloße Anwesenheit etwas von Ted Moon in sich aufnehmen. »Dann kommen Sie. Aber fassen Sie nichts an.«
Die Haustür stand offen, und sie gingen hinein. Jonathans Gesicht wirkte starr wie eine Maske. Er blieb kurz stehen und schaute sich in der vertrauten Diele um. Alle Flächen waren bedeckt mit schwarzem Fingerabdruckpulver. Jemand von der Spurensicherung – sie hatten alles nach Fingerabdrücken abgesucht, mit der Pinzette Haare von Marthas Kopfkissen sichergestellt und die Bettwäsche abgezogen – erschien in seinem Raumanzug und sammelte herumliegende Ausrüstungsgegenstände ein. Caffery hielt ihn auf. »Gibt es Spuren von gewaltsamem Eindringen?«
»Bis jetzt nicht. Im Moment ist alles noch sehr mysteriös.« Er pfiff die Titelmelodie von Twilight Zone und merkte zu spät, dass die beiden Männer ihn entgeistert anstarrten. Sofort machte er ein ernstes Gesicht und deutete streng auf ihre Füße. »Wollen Sie hier rein?«
»Geben Sie uns Überschuhe und Handschuhe. Das reicht schon.«
Der Spurensicherer händigte Caffery ein Paar von beidem aus und reichte auch Jonathan einen Satz. Sie zogen die Sachen an, und Caffery hob die Hand und wies zur Treppe. »Wollen wir?«
Er ging voraus, und Jonathan folgte ihm bedrückt. Marthas Zimmer sah aus wie auf dem Foto des Entführers: gerahmte Bilder an den Wänden, Ballerinen, die über eine pinkfarbene Bordüre tanzten, »Hannah Montana«-Aufkleber auf dem Bettkasten. Nur die Matratze lag jetzt bloß; das Laken war abgezogen, und Bett, Wand und Fenster waren mit Fingerabdruckpulver bedeckt.
»Sieht schäbig aus.« Jonathan drehte sich langsam um sich selbst und betrachtete alles. »Wenn man so lange irgendwo wohnt, merkt man gar nicht, dass es schäbig wird.« Er ging zum Fenster und legte einen behandschuhten Finger an die Scheibe, und plötzlich fiel Caffery auf, dass der Mann abgenommen hatte. Trotz seiner Vorträge darüber, dass man die Familie bei Kräften halten müsse, und obwohl er scheinbar dauernd etwas zu essen auf den Tisch brachte, war Jonathan – nicht Rose oder Philippa – derjenige, der allmählich einen dürren, faltigen Hals bekam und dessen Hosen zu schlottern anfingen. Er sah aus wie ein kranker, alternder Geier.
»Mr. Caffery?« Er wandte sich nicht vom Fenster ab. »Ich weiß, wir können vor Rose und Philippa nicht darüber reden, aber – von Mann zu Mann: Was denken Sie? Was glauben Sie, was Ted Moon mit meiner Tochter angestellt hat?«
Caffery betrachtete Jonathans Hinterkopf. Das Haar, das er als lockig in Erinnerung hatte, sah schütter aus. Er entschied, der Mann habe ein Recht darauf, belogen zu werden. Denn die Wahrheit, Mr. Bradley, ist die: Er hat Ihre Tochter vergewaltigt. Er hat es so oft getan, wie er konnte. Und dann hat er sie ermordet. Damit sie still war, damit sie aufhörte zu weinen. Das ist bereits passiert, wahrscheinlich irgendwann am Tag nach der Entführung. In Ted Moon ist nichts Menschliches mehr, und deshalb kann es sogar sein, dass er ihren Körper noch benutzt hat, nachdem er sie getötet hatte. Wahrscheinlich hat er auch das so lange getan, wie er konnte, aber auch dieser Teil ist inzwischen vorbei. Das weiß ich, weil er Emily geholt hat. Er brauchte eine neue. Was Martha betrifft, überlegt er wahrscheinlich gerade, was er mit der Leiche anfangen soll. Er kann gut Tunnel bauen. Er gräbt tadellose, gut konstruierte Tunnel …
»Mr. Caffery?«
Er schrak aus seinen Gedanken und blickte auf.
Jonathan beobachtete ihn. »Ich habe gefragt, was glauben Sie, was er mit meiner Tochter angestellt hat?«
Caffery schüttelte langsam den Kopf. »Wollen wir nicht tun, was wir vorhatten?«
»Ich hatte gehofft, Sie vermuten etwas anderes.«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich etwas vermute.«
»Nein. Aber Sie tun es. Keine Sorge. Ich frage nicht noch einmal.« Jonathan versuchte tapfer zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. Schlurfend kam er vom Fenster zurück ins Zimmer.
Eine Zeit lang standen sie schweigend nebeneinander. Caffery versuchte seinen Kopf zu leeren und Geräusche, Gerüche und Farben hineinfließen zu lassen. Er wartete darauf, dass die Dinge etwas machten – dass sie eine Botschaft schickten, die sich wie ein
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