Verderbnis
mit den blauen Kugelschreiberkritzeleien. Schlecht war ihr geworden von diesem Buch. Ein kümmerliches Viereck aus Pappe und Papier – das einzige Werkzeug, das er besaß, um Emily zurückzubringen.
»Nick«, sagte sie nach einer ganzen Weile. »Ich mag Sie. Ich mag Sie sehr. Aber ich traue Ihrer Polizei nicht. Nicht mal von hier bis zur Tür.«
Nick hob den Kopf. Sie sah blass aus, und ihre Augen wirkten müde. »Janice, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich war noch nie in einer solchen Lage. Die Polizei? Das ist eine Institution wie jede andere. Vorne drauf steht in Riesenlettern ›Öffentlicher Dienst‹, aber ich habe in ihr nie etwas anderes gesehen als ein Geschäft. Aber das darf ich nicht sagen, oder? Ich muss Ihnen ins Gesicht sehen und erzählen, dass die Ermittlungen tadellos geführt werden. Das ist das Schwierigste an meinem Job. Zumal wenn ich anfange, eine Familie zu mögen. Wenn das passiert, ist es, als ob ich Freunde belüge.«
»Dann hören Sie zu.« Das Sprechen strengte sie ungeheuer an. Aber sie wusste, wie es jetzt weitergehen musste. »Es gibt eine Möglichkeit, die Sache in Ordnung zu bringen, aber ich glaube nicht, dass Ihre Leute das tun werden. Also werde ich es stattdessen tun. Und ich brauche Ihre Hilfe.«
Nicks Mundwinkel zuckte. »Hilfe«, sagte sie. »Verstehe.«
»Sie müssen mir ein paar Kontaktdetails besorgen. Ich möchte, dass Sie ein bisschen telefonieren. Machen Sie das? Helfen Sie mir?«
63
M ein Sohn ist kein Kinderschänder. Er ist ein schlechter Junge, ein sehr schlechter sogar, aber verdammt, er ist kein Kinderschänder.«
Es war kurz vor Mitternacht. Im Gebäude der MCIU brannte noch Licht. In abgelegenen Büros klapperten Tastaturen, und Telefone klingelten. Turner und Caffery saßen im Besprechungsraum am Ende eines Korridors im zweiten Stock. Die Jalousien waren geschlossen, und die Leuchtstoffröhren brannten. Caffery fummelte mit einer Büroklammer herum. Drei Tassen Kaffee standen auf dem Tisch. Peter Moon saß ihm gegenüber auf einem Drehstuhl, in einem Karopullover und einer ausgebeulten Jogginghose. Er hatte sich bereit erklärt zu reden, wenn sie ihn dafür über Nacht aus der Haft entließen. Er wollte keine Rechtsmittelbelehrung, keinen Anwalt. Den ganzen Abend hatte er darüber nachgedacht, und jetzt wollte er reinen Tisch machen. Caffery ließ ihn reden. Er hatte nicht vor, den Kerl laufen zu lassen. Sobald er gesungen hätte, würde er wieder in die Zelle wandern.
»Kein Kinderschänder.« Caffery sah ihn teilnahmslos an. »Wieso haben Sie ihn dann gedeckt?«
»Wegen der Autos. Er hat ein Problem mit Autos. Da ist er wie ein Kind. Er hat schon Dutzende geklaut. Als ob er einfach nicht anders könnte.«
»Die meisten haben wir in seiner Halle gefunden.«
»Deshalb hat er den Job hier angenommen.« Peter sah mager aus. Am Ende seiner Kräfte. Beschämt. Er war ein Mann, dessen einziges Vermächtnis an die Welt aus zwei Söhnen bestand, von denen einer zu Hause im Bett sterben würde, bevor er dreißig wäre, und der andere im Gefängnis. Ein auf DIN A4 vergrößertes Foto von Ted hing am Whiteboard an der Wand. Es stammte von seinem polizeilichen Dienstausweis. Mit ausdruckslosem Blick starrte er in den Raum. Seine Schultern waren leicht nach vorn gebeugt. Caffery entging nicht, dass Peter Moon vermied, das Bild anzusehen. »Er hat so viele geklaut, dass er glaubte, ihr wärt ihm auf den Fersen. Und wenn er hier arbeitet, dachte er, dann könnte er vielleicht – keine Ahnung – in eure Computer eindringen und die Daten manipulieren oder so was.« Er warf die Hände in die Luft. »Weiß der Himmel, was er sich da in den Kopf gesetzt hat. Dass er ein Computergenie ist, vielleicht.«
»Er war tatsächlich in unserem System. Aber um herauszufinden, was wir über seine gestohlenen Autos wissen?« Caffery sah Turner an. »Klingt das plausibel? Dass er sich für gestohlene Autos interessiert hat?«
Turner schüttelte den Kopf. »Nein, Boss. Klingt nicht plausibel. Für mich klingt es, als hätte er es getan, um rauszukriegen, wo diese Familie untergebracht war, die er aufs Korn genommen hatte. Und wo die Kennzeichenerfassungskameras standen.«
»Ja – diese Kameras. Erstaunlich, wie er ihnen ausgewichen ist.«
»Erstaunlich«, stimmte Turner zu.
»Sehen Sie, Mr. Moon, Ihr Sohn hat jetzt vier Kinder entführt. Zwei davon sind noch in seiner Gewalt – gute Gründe, sich uns zu entziehen.«
»Nein,
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