Verderbnis
Alysha in Schwarz-Weiß. Ihr Haar wurde von einem breiten Band zurückgehalten – eine Frisur wie aus Alice im Wunderland . Er fühlte sich schlapp und verwirrt, denn dieser Fall hatte in den letzten Stunden eine ganz andere Wendung genommen. Niemand hatte mehr Ted Moon im Auge, und alle konzentrierten sich auf seine Opfer; denn Moon hatte die Mädchen weit im Voraus ausgewählt, was die Ermittlungen grundlegend veränderte. Alle befürchteten, er könnte es schon bald wieder tun. Es könnte irgendwo noch eine Familie geben, in deren Haus Überwachungskameras versteckt waren. Diese Familie musste die MCIU nun finden – und Caffery war sicher, dass der Schlüssel dazu in der Antwort auf die Frage lag, warum er Alysha, Emily, Cleo und Martha ausgesucht hatte.
»Was läuft hier?«, fragte Damien. »Kommt mir vor wie ein Spuk. Gefällt mir nicht.«
»Das kann ich mir denken.« Caffery knüllte das Caramac-papier zusammen und steckte es in die Tasche. »Was hier läuft, ist Folgendes: Wir sind ein paar Stufen höher gestiegen und betrachten Ted Moon jetzt aus einer anderen Perspektive. Er ist clever. Stimmt’s? Sehen Sie sich an, was er in Ihrem Haus gemacht hat. Er hätte Alysha – und alle anderen Mädchen – jederzeit entführen können. Aber das hat er nicht getan. Er hat es inszeniert. Hat sich die Mädchen in der Öffentlichkeit gegriffen, damit es nach einem Zufall aussah. Um zu verbergen, dass er Ihr Mädchen schon kannte.«
»Sie schon kannte?« Damien verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. »Nein. Das glaube ich nicht. Ich hab das Foto gesehen. Ich kenne das Schwein nicht.«
»Vielleicht nicht. Aber er kennt Alysha. Irgendwoher. Vielleicht hat er sie über ihre Freundinnen kennengelernt. War sie öfter mal bei anderen Leuten? Bei einer Freundin?«
»Nein. Ich meine, sie war damals doch noch ein kleines Mädchen. Lorna hat sie immer zu Hause behalten. Wir haben hier nicht mal Verwandte. Meine sind alle in London und ihre in Jamaica.«
»Also keine Freundinnen, mit denen sie mal weggegangen ist?«
»Nicht in dem Alter. Keine Ahnung, was ihre Mutter ihr inzwischen erlaubt.«
»War sie irgendwann vielleicht mal allein zu Hause?«
»Nein. Wirklich, ich mein’s ernst. Lorna hatte oft miese Touren, aber sie war eine gute Mutter. Und wenn Sie mehr über diese Zeit wissen wollen, müssen Sie mit ihr reden, nicht mit mir.«
Caffery wünschte, er könnte mit ihr reden. Turner hatte Interpol eingeschaltet, aber die jamaikanische Polizei war nicht fündig geworden. Er schluckte die Karamellschokolade hinunter. Von dem vielen Zucker fühlte sein Mund sich pelzig und trocken an, was das ungute Gefühl, dass er irgendetwas übersah, verstärkte. »Damien, können wir mal nach oben gehen?«
Damien seufzte. »Kommen Sie.« Er trat ins Haus und schloss die Tür. Er nahm den Zuhältermantel ab, hängte ihn an einen Haken in der Diele und winkte Caffery, ihm zu folgen. Schnellen Schrittes stieg er die Treppe hinauf, eine Hand auf dem Geländer, die Füße nach außen gedreht. Oben auf dem Absatz fanden sie Q. In einem Anzug, der wie Taft schimmerte, fummelte er an einem kleinen elektronischen Gerät herum, das auf dem Geländer stand. Er blickte nicht auf und nahm auch sonst keine Notiz von ihnen, als sie an ihm vorbeigingen.
Das große Schlafzimmer im vorderen Teil des Hauses wirkte überladen. Drei Wände waren trüffelbraun gestrichen und mit Airbrushgemälden nackter Frauen geschmückt. An der vierten klebte eine Flockdrucktapete in Silber und Schwarz. Das Kopfteil des Bettes war mit schwarzem Wildleder bezogen, und auf dem Bett lagen schwarze Zierkissen. Der Kleiderschrank, ein Kaufhausmodell, hatte Spiegeltüren.
»Nett hier.«
»Gefällt’s Ihnen?«
Caffery holte ein Twix aus der Tasche und riss das Papier ab. »Ein Junggesellenzimmer. Nicht das, was Sie hatten, als Lorna noch hier lebte, stimmt’s? Oder haben Sie beide hier geschlafen?«
»Ich hab’s verändert, als sie weg war. Ihren Scheiß weggeschmissen. Aber es war unser Zimmer. Warum?«
»Und davor? Hat es mal Alysha gehört?«
»Nein. Sie hatte immer das Zimmer hinten. Schon als Baby. Wollen Sie es sehen? Ich hab da nichts drin außer Alyshas Sachen. Falls sie überhaupt noch mal nach Hause kommt.«
Caffery wollte es nicht sehen. Man hatte ihm schon gesagt, welches Zimmer Moon mit einer Kamera bestückt hatte. Damien wusste es noch nicht, aber irgendwo in der Decke über seinem Zimmer befand sie sich. Q wartete auf eine
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