Verderbnis
alle mit Unbehagen. Es war ein leises, heiseres Keuchen wie von einem gefangenen Tier.
Caffery kam mit fünf anderen Männern heran. In seiner Begleitung befanden sich der Bronze Commander, ein Techniker, der einen Edelstahlwagen mit einem komplizierten Rohrkamerasystem vor sich her schob, und der stellvertretende Sergeant Wellard mit zweien seiner Männer. Niemand sprach; nur ihre Schritte raschelten im gefrorenen Laub. Ihre Gesichter wirkten verschlossen und konzentriert. Am Rand des Schachts blieben sie stehen und schauten hinunter. Der Schacht wies einen Durchmesser von etwa drei Metern auf. Ein einzelner Stützbalken, fast völlig vermodert, spannte sich quer durch das Loch. Eine Eiche, die sich neben dem Schacht erhob, hatte eine Wurzel über diesen Balken geschoben, und nur der Himmel wusste, wovon sie sich ernährte. Caffery legte eine Hand an den Stamm und beugte sich vor. Er sah eine weiße Kalksteinschicht und darunter dunkleres Gestein. Dann nichts mehr. Und wieder hörte er dieses unheimliche Geräusch. Ein Atmen. Ein und aus.
Der Kameratechniker rollte das gelbe Kabel ab und ließ die winzige Rohrkamera in den Schacht hinunter. Caffery verfolgte, wie er die elektrischen Leitungen abspulte und den Monitor einrichtete. Es dauerte eine Ewigkeit, in der Caffery geduldig warten musste. Unter seinem Auge zuckte es, und am liebsten hätte er den Mann angeschrien: Beeil dich, verdammt noch mal! Wellard hatte einen Abseilgurt angelegt und sich an einem anderen Baum gesichert. Er kniete am Boden und stützte sich mit einer Hand auf die Eichenwurzel, sodass er sich über das Loch beugen und den Gasdetektor an seinem Kabel sorgfältig hinunterlassen konnte. Auf der anderen Seite des Schachts bereiteten seine Leute sich vor; sie befestigten Kernmantelseile an den umstehenden Bäumen, überprüften ihre Sicherungsgeräte, schnallten ihre Gurte fest und befestigten selbstbremsende Abseilgeräte an ihren Seilen.
Der Bronze Commander beobachtete das Ganze aus ein paar Schritten Abstand mit banger, angespannter Miene. Auch ihn machte das Geräusch aus der Tiefe nervös. Niemand wusste, was da unten explodiert war – ob es sich um einen Unfall handelte oder ob Prody versucht hatte, sich in die Luft zu jagen –, aber niemand gestattete sich auch nur ansatzweise den Gedanken, was das möglicherweise für die Mädchen bedeutete. Oder für Sergeant Marley. Falls sie sich da unten im Tunnel befanden.
»Okay.« Der Techniker hatte mit seiner Kamera den Grund des Schachts erreicht und fuhr den Monitor auf seinem Wagen hoch. Caffery, Wellard und der Bronze Commander versammelten sich um das Gerät. »Das ist ein Fischaugenobjektiv, deshalb ist das Bild verzerrt. Aber ich schätze, die Formen, die Sie hier sehen, sind die Tunnelwand …« Konzentriert sog er die Unterlippe zwischen die Zähne und justierte die Schärfe. »So. Ist das besser?«
Langsam wurde das Bild erkennbar. Der Scheinwerfer auf der Kamera warf einen zuckenden Lichtkreis auf alles, was in seiner Nähe war. Das erste Bild zeigte eine tropfende, moosbedeckte Wand. Die Kamera schwenkte ein Stück zur Seite, und das Scheinwerferlicht spiegelte sich auf dem dunklen Wasser des Kanals, aus dem ein paar Buckel herausragten. Niemand sprach ein Wort. Alle rechneten damit, dass einer dieser Buckel sich als Martha oder Emily entpuppen würde. Minuten vergingen, während die Kamera durch den Kanal wanderte. Fünf. Zehn. Die Sonne verschwand hinter Wolken. Ein Schwarm Krähen flog von den Bäumen auf. Schließlich schüttelte der Kameratechniker den Kopf.
»Nichts. Sieht aus, als ob es leer wäre.«
» Leer ? Woher kommt dann dieses verdammte Geräusch?«
»Nicht aus dem Kanal. Da liegt nichts auf dem Boden oder im Wasser. Der Tunnel ist leer.«
»Er ist nicht leer.«
Der Techniker zuckte die Achseln. Er drehte an der Kamerasteuerung und zoomte ans Ende des Kanals, wo das Bild dunkel wurde.
»Da zum Beispiel«, sagte Caffery. »Ich meine, was ist das ?«
»Keine Ahnung.« Der Techniker überschattete den Monitor mit der Hand und betrachtete die geisterhaften Bilder. »Okay«, sagte er dann widerstrebend, »sieht aus, als ob da was wäre.«
»Was ist es?«
»Ein … ich bin nicht sicher. Ein Bootsrumpf? Von einem Lastkahn vielleicht? Mein Gott, sehen Sie mal, wie das Deck da auseinandergerissen ist. Das dürfte Ihre Explosion gewesen sein.«
»Können Sie hineinfahren?«
Der Techniker richtete sich auf. Ohne den Monitor aus den Augen zu lassen, zog er seine
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