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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Tal lag, hörte sie nach und nach andere Dinge. Jemand atmete heiser und schnappend, als kämpfte er darum, am Leben zu bleiben. Und ein gedämpfteres Geräusch. Ein Wimmern? Sie stand auf und ging den Hang hinunter. Das Wimmern drang aus einem Busch am unteren Ende des Gartens. Als Flea näher kam, erkannte sie, dass da ein Kind wimmerte. Wimmerte und weinte.
    » Martha ?«
    Sie näherte sich dem Busch und sah etwas Helles auf der versengten Erde, das darunter hervorragte.
    »Martha?«, fragte sie behutsam. »Martha? Bist du das?«
    Das Weinen hörte auf. Flea trat einen Schritt näher heran und sah, dass das Weiße auf dem Boden ein Kinderfuß war. Er steckte in Marthas Schuh.
    »Bitte?« Eine süße kleine Stimme. Leise. »Bitte hilf mir.«
    Flea schob langsam die Zweige auseinander. Ein Gesicht lächelte zu ihr herauf. Sie ließ die Zweige los und wich einen Schritt zurück. Es war nicht Martha, sondern ihr Bruder Thom. Der erwachsene Thom, der das Baumwollkleid eines kleinen Mädchens trug und sie koboldhaft anlächelte. Eine Schleife im Haar, eine Stoffpuppe unter dem Arm. Flea stolperte und landete auf dem Rücken. Schob sich mit strampelnden Füßen weg von dem Busch, rutschte mit dem Hinterteil über das Gras.
    »Geh nicht weg, Flea.«
    Thom zog sich den Schuh aus. Sein Fuß löste sich vom Bein. Er hob den Schuh mit dem Fuß hoch, um damit nach ihr zu werfen.
    » Nein !« Sie rutschte über den Boden. »Nein!«
    »Schon mal ’ne Leiche gesehen? Hast du schon mal eine Leiche gesehen, Flea? Und wie sie zerschnitten wurde?«
    » Flea ?« Sie drehte sich um. Jemand stand hinter ihr. Eine schattenhafte Gestalt; es konnte Dad sein, aber auch jemand anderes. Sie streckte die Hand danach aus, aber dabei fiel ihr auf, dass sie sich nicht mehr auf dem Hang befand, sondern in einer überfüllten Bar, mitten im Gedränge. »Polizei«, sagte jemand neben ihr eindringlich. »Wir sind von der Polizei.« Sie fühlte Hände, die sie bewegen wollten. Dicht über ihr hing eine große Lampe mit einer Milchglaskuppel an einer Kette. Jemand, der Klettereisen und einen Gurt trug, war daran hinaufgeklettert und schwang hin und her. Bei jeder Schwingung bewegte die Lampe sich ein wenig schneller und kam ein wenig tiefer herunter, bis sie so dicht über ihrem Gesicht, so blendend hell war, dass sie die Hand ausstrecken musste, um sie wegzuschieben.
    » Neiiiiiin «, hörte sie sich stöhnen. » Neiiiiin . Nicht.«
    »Pupillen sind normal«, sagte jemand ganz in der Nähe. »Flea?« Etwas bohrte sich in ihr Ohrläppchen. Fingernägel. Daumen und Zeigefinger. »Können Sie mich hören?«
    »Nnnnnhh.« Sie schlug nach der Hand an ihrem Ohr. Der Lärm der Bar war verstummt. Sie war irgendwo im Dunkeln. Leute atmeten schnell, und Echos hallten hin und her. »’ffffhören.«
    »Sie werden’s überstehen. Ich muss Ihnen eine Infusion legen. Hier.« Jemand klopfte auf ihren Arm. Lichter blitzten in ihren Augen. Und Umrisse. Sie sog Luft in ihre Lunge. »Es dauert nur einen Moment. So ist es gut; halten Sie nur still. Braves Mädchen. Sie werden’s überstehen.«
    Sie spürte eine Hand auf dem Kopf. »Das ist gut, Boss. Sie machen es großartig.« Das war Wellards Stimme. Sie klang laut, als redete er mit einem Kind. Was machte Wellard hier in dieser Bar? Sie wollte sich zu ihm umdrehen, aber er hielt sie fest. »Halten Sie still.«
    » Nein .« Sie zuckte zusammen, als die Nadel sich in die Vene bohrte. Wollte den Arm wegziehen. »Tut weh.«
    »Stillhalten. Ist gleich vorbei.«
    » Fugg , das tut weh. Nich. Nich wehtun.«
    »Da. Schon erledigt. Gleich fühlen Sie sich besser.«
    Benommen versuchte sie, nach ihrem Arm zu greifen, aber eine Hand hielt sie fest.
    »Wo ist die Aludecke?«, fragte jemand anders. »Sie ist kalt wie ein Eisblock.«
    Jemand klemmte etwas an ihren Finger. Eine Hand schob sich an ihrem Rücken entlang nach unten. Betastete ihren Hals. Die Decke raschelte um sie herum. Sie spürte Hände im Nacken, die sie bewegten. Etwas Hartes, Warmes war jetzt hinter ihr. Sie wusste, was sie taten: Sie legten sie auf ein Backboard für den Fall, dass sie eine Wirbelverletzung hatte. Sie wollte eine Bemerkung darüber machen, einen Witz reißen, aber ihr Mund war schlaff und konnte die Worte nicht formen.
    »O nein«, brachte sie hervor. »Bitte nicht. Nicht ziehen. Das tut weh.«
    »Ich versuche nur, sie hier durchzubringen«, sagte eine körperlose Stimme. »Wie um alles in der Welt ist sie bloß da reingekommen? Ist ja wie

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