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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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gehen?«

18
    A n diesem Nachmittag um sechs Uhr kam der Inspector ins Büro, legte eine Hand auf Fleas Schreibtisch, beugte sich herunter und starrte ihr durchdringend ins Gesicht.
    Sie wich seitwärts aus. »Was ist? Was soll das?«
    »Nichts weiter. Nur dass der Superintendent Sie anscheinend mag. Die Interne Aufsicht hat mich angerufen.«
    »Ja?«
    »Ja. Die Streichung Ihrer Leistungsprämien – ist aufgehoben.«
    »Soll das heißen, meine Leute kriegen ihren Bonus?«
    »Fröhliche Weihnachten. Klingelingeling.«
    Als er gegangen war, saß sie eine Zeit lang schweigend in ihrem vertrauten Büro, umgeben von Dingen, an die sie sich im Lauf der Jahre gewöhnt hatte. An die Wand gepinnte Fotos ihres Teams bei verschiedenen Einsätzen, hingekritzelte Etatpläne auf dem Whiteboard. Die albernen Postkarten, die an den Spindtüren klemmten. Eine zeigte einen Mann mit Schnorchel und Schwimmflossen, und darunter stand: »Jetzt wusste er, warum Taucher rückwärts von der Bordwand kippten. Vorwärts landeten sie immer im Boot.« An der Wand hing ein Polizeiplakat zu einem Antidrogeneinsatz: Atrium: Seit 2001 haben wir täglich eine Person verhaftet. Helfen Sie uns, daraus zwei zu machen . Einer aus dem Team hatte das täglich mit einem schwarzen Filzstift durchgestrichen. Flea würde ernsthaften Ärger mit den Superintendents kriegen, wenn sie etwas von all dem zu sehen bekämen, aber sie erlaubte ihren Leuten, es hängen zu lassen. Sie hatten einen Humor, der ihr gefiel. Ihr gefiel auch die entspannte Art, wie sie miteinander umgingen. Jetzt würden sie ihr Geld bekommen. Sie konnten Xboxes kaufen und Wiis für ihre Kinder und Leichtmetallfelgen und all den Jungskram, der zu einem richtigen Weihnachtsfest gehörte.
    Die Eingangstür wurde geöffnet, und ein Schwall kalter Luft und Benzindunst wehte von draußen herein. Jemand kam durch den Korridor. Wellard. Er trug eine Tasche und ging in Richtung Dekontaminationsraum. Sie hielt ihn an der Tür auf. »Hey.«
    Er streckte den Kopf ins Zimmer. »Was gibt’s?«
    »Sie kriegen Ihr Geld. Der Inspector hat es mir eben gesagt.«
    Er neigte den Kopf in einer kleinen, ritterlichen Verbeugung. »Nun, ich danke sehr, gütige Lady. Meine armen, kranken Kinder werden an diesem Weihnachtsfest zum ersten Mal in ihrem kläglichen, kurzen Leben lächeln können. Oh, sie werden zufrieden sein, freundliche Herrin. Wahrhaftig, es wird das beste Weihnachtsfest aller Zeiten werden.«
    »Sorgen Sie dafür, dass der mit der Kinderlähmung den iPod Touch kriegt.«
    »Sie sind nicht so eklig, wie Sie immer tun, Boss. Nein, wirklich nicht.«
    »Wellard?«
    Er blieb in der halb offenen Tür stehen. »Hm?«
    »Mal im Ernst. Heute Morgen.«
    »Heute Morgen?«
    »Sie haben den Gipsabdruck gesehen, den die Spurensicherung gemacht hat. Sie haben nicht erkannt, was der Entführer benutzte, um seine Spuren zu verwischen?«
    »Nein. Warum?«
    »Ich weiß nicht.« Sie spürte, wie etwas Kaltes, Unklares in ihrem Hinterkopf rumorte. Ein schattenhaftes Bild aus dem Wald, den sie durchsucht hatten. Die Felder, die sich nach beiden Seiten erstreckten. Während der Suche am Morgen hatte man tuschelnd über Dinge geredet, die im Brief des Entführers standen. Niemand außerhalb der MCIU sollte etwas darüber erfahren, aber solche Dinge sprachen sich schnell herum. Während der Arbeit am Vormittag hatten sie alle den Kopf voll von vagen, verstörenden Vorstellungen davon gehabt, was der Entführer mit Martha angestellt haben könnte. »Ich hab nur so ein … Gefühl bei diesem Ort. Etwas, das ich nicht genau fassen kann.«
    »Eine Ahnung?«
    Sie warf ihm einen eisigen Blick zu. »Ich lerne gerade, meinen ›Ahnungen‹ zu vertrauen, Wellard. Ich lerne, dass ich nicht so blond bin, wie Sie glauben. Und ich habe das Gefühl, dass etwas in der …«, sie rang um das richtige Wort, »…etwas in der Umgebung da draußen wichtig war. Wissen Sie, was ich meine?«
    »Sie kennen mich, Sarge. Ich bin ein Fußsoldat. Ich verdiene mein Geld mit meinem hinreißenden Körper. Nicht mit meinem Verstand.« Er zwinkerte und ging hinaus. Seine Schritte verhallten im Korridor. Flea lächelte düster. Draußen hatte es angefangen zu regnen. So langsam und dick fielen die Tropfen durch den Dunst, dass es fast aussah wie Schnee. Der Winter war wirklich da.

19
    U m achtzehn Uhr fünfzehn jagte ein dunkler Audi S6 über die schmalen Straßen von Mere. In den Kurven quietschten die Reifen. Janice Costello wollte vor ihrem Mann zu

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