Verderbnis
Hause sein. Ihre Hände umklammerten das Lenkrad, und die Handflächen waren glitschig vom Schweiß. Das Radio lief – ein Medienpsychiater äußerte seine Meinung über den Carjacker, der vorgestern in Frome ein kleines Mädchen entführt hatte: Wahrscheinlich handle es sich um einen männlichen Weißen in den Dreißigern. Vielleicht ein Ehemann, vielleicht sogar ein Vater. Mit zittrigen Fingern schaltete Janice das Radio ab. Wieso hatte sie an dieses Schwein nicht gedacht, als sie Emily allein im Auto zurückgelassen hatte? Frome lag nicht so weit entfernt von hier. Sie hatte großes Glück, dass nichts passiert war. Sie musste verrückt sein, wenn sie ein solches Risiko einging. Verrückt.
Clare. Das alles war nur ihre Schuld. Clare, Clare, Clare . Der Name störte Janice beinahe noch mehr als alles andere. Wenn sie Mylene oder Kylie oder Kirsty geheißen hätte, oder wie diese jungen Mädels sonst hießen, dann wäre es für sie einfacher gewesen. Sie hätte sich einen Teenager vorstellen können, mit großen Brüsten, glatten blonden Haaren und mit dem Wort BITCH quer über den Hintern tätowiert. Aber Clare ? Clare hörte sich an, als wäre Janice mit ihr in die Schule gegangen. Und die blasse Frau vor der Klinik wirkte weder sexy noch kess oder unerfahren. Sie sah aus wie eine, mit der man sich richtig unterhalten konnte. Sie sah aus wie eine Clare.
Es war nicht das erste Mal, dass Cory eine Affäre hatte. Vor fünf Jahren war es schon mal passiert, mit einer »Schönheitstherapeutin«, die Janice nie zu Gesicht bekommen hatte – sie stellte sich eine ganzjährige Sonnenbräune, teure Unterwäsche und vielleicht eine Behandlung mit brasilianischem Bikiniwachs vor. Als sie es herausgefunden hatte, waren die Costellos zusammen in eine Therapie gegangen; Cory war so reumütig, so zerknirscht über den Fehler, den er begangen hatte, dass sie ihm eine Zeit lang beinahe verziehen hatte. Dann war noch ein Aspekt hinzugekommen, der sie vollends umgestimmt und davon überzeugt hatte, dass sie ihm noch eine zweite Chance geben sollte. Sie war schwanger.
Emily kam im Winter zur Welt, und Janice war überwältigt von einer so unerwartet großen Liebe zu ihrer Tochter, dass es ihr jahrelang nicht wichtig war, was aus ihrer Ehe wurde. Cory machte seine Therapie und hatte einen neuen Job in Bristol als »Marketing Consultant für nachhaltige Produktentwicklung« bei einer Druckerei. Sie musste über diesen Titel lachen, weil er seine eigene CO ² -Bilanz dabei so sehr missachtete. Aber er verdiente so viel Geld, dass Janice nicht mehr zu arbeiten brauchte, sondern stattdessen kleine Jobs als freie Redakteurin annehmen konnte, die zwar schlecht bezahlt wurden, aber dafür sorgten, dass sie in Übung blieb. Eine Weile war das Leben ganz vergnügt weitergegangen. Bis jetzt. Bis Clare aufgetaucht war. Und jetzt war alles auf diese eine Obsession reduziert. Sie lag nachts wach und starrte an die Decke, während Cory neben ihr schnarchte. Überwachte heimlich sein Telefon, kontrollierte in der Reinigung die Taschen, stellte Fragen. All das hatte zu diesem Abend geführt, zu dieser Raserei quer durch die dunkle Stadt, mit der armen Emily auf dem Rücksitz.
Sie riss den Audi um die Kurve und in die Wohnstraße. Hielt mit kreischenden Bremsen in der Einfahrt ihrer viktorianischen Doppelhaushälfte. Cory war noch nicht da. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Emily, Gott segne sie, nicht käseweiß und voller Angst nach dieser rasenden Heimfahrt auf dem Rücksitz kauerte, sondern tatsächlich eingeschlafen war. Jasper klemmte zwischen Kinn und Schulter wie eins dieser aufblasbaren Halskissen, die die Leute auf dem Flughafen mit sich herumschleppen.
»Komm, mein Schatz«, flüsterte Janice. »Mummy bringt dich ins Bett.«
Es gelang ihr, Emily aus dem Wagen zu heben und in ihr Hochbett zu schaffen, ohne sie zu wecken. Hastig verstrich sie mit dem Finger ein wenig Zahnpasta im Mund des schlafenden Kindes – das musste einstweilen genügen –, küsste das kleine Mädchen auf die Stirn und riss sich dann selbst den Mantel herunter und schleuderte ihn in die Garderobe. Sie befand sich in der Küche und schüttete den letzten Rest Milch in den Ausguss, als Corys Wagen draußen vorfuhr. Schnell spülte sie den Karton aus und brachte ihn nach vorn zur Recyclingtonne.
Cory traf sie vor der Tür, den Schlüssel in der Hand, Misstrauen im Blick. »Hallo.« Er musterte sie von Kopf bis Fuß und sah die Straßenschuhe.
»Milch
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