Verderbnis
alle.« Sie schüttelte den leeren Karton vor seinem Gesicht. »Ich wollte noch welche kaufen, aber im Laden gab’s keine mehr.«
»Du warst weg? Und Emily?«
»Die hab ich natürlich allein gelassen. Hab ihr ein schönes heißes Bad eingelassen und ihr deine Rasierklingen zum Spielen gegeben. Herrgott, Cory, wofür hältst du mich? Ich hab sie mitgenommen.«
»Du hast gesagt, sie schläft.«
»Ich habe gesagt, sie ist aufgewacht. Du hörst nicht zu.« Sie warf den Karton in die Tonne und stand dann mit verschränkten Armen da und betrachtete ihn. Gut sah er aus, ihr Cory. Da gab es kein Vertun. Aber in letzter Zeit war um seinen Kiefer herum etwas Weiches zutage getreten, das ihn beinahe feminin aussehen ließ. Und an seinem Hinterkopf wurde das Haar dünner. Das war ihr neulich im Bett aufgefallen. Sie störte es nicht, aber was würde Clare davon halten? Lohnte es sich, es ihm zu sagen – um ein kleines Loch in sein Ego zu pieksen? Oder sollte sie warten, bis Clare es bemerkte?
»Wie war die Sitzung?«
»Hab ich doch gesagt. Immer das Gleiche.«
»Und Clare?«
»Was?«
» Clare . Die, von der du neulich gesprochen hast. Weißt du noch?«
»Wieso fragst du nach ihr?«
»Aus Interesse. Streitet sie immer noch mit ihrem Ex?«
»Mit ihrem Mann? Ja, dieser Scheißtyp. Was er ihr angetan hat, ihr und den Kindern – unglaublich.«
Da war eine Spur von Gehässigkeit. Scheißtyp ? Diesen Ausdruck hatte sie von ihm noch nie gehört. Vielleicht benutzte Clare ihn.
»Wie auch immer, ich überlege, ob ich mit der Gruppe aufhören soll.« Er schob sich an ihr vorbei in die Diele und knöpfte seinen Mantel auf. »Es kostet zu viel Zeit. Im Büro ändert sich einiges. Sie wollen, dass ich länger arbeite.«
Janice folgte ihm in die Küche und beobachtete, wie er den Kühlschrank öffnete und nach einem Bier suchte. »Länger arbeiten? Das bedeutet, dass du abends spät nach Hause kommst, nehme ich an.«
»So ist es. Und ich kann mir nicht leisten, nein zu sagen. Nicht beim jetzigen Stand der Dinge in der Welt. Der Vorstand will mich morgen Nachmittag bei einem großen Meeting dabeihaben. Um vier.«
Um vier. Es war wie eine Ohrfeige, als Clares Gesicht plötzlich vor ihrem geistigen Auge erschien, und sie sah, wie sie die Hand hob. Vier ausgestreckte Finger. Das bedeutete: vier Uhr. Cory und Clare würden sich um vier Uhr treffen. Er würde sich auf Janices Anrufe nicht melden, weil er in einem »Meeting« wäre. Und beinahe so, als wollte er genau das bestätigen, fragte er im Plauderton: »Und was hast du morgen vor? Irgendwelche Pläne?«
Sie antwortete nicht gleich, sondern betrachtete ihn nur ruhig, aber mit klopfendem Herzen. Ich liebe dich nicht, dachte sie. Cory, ich liebe dich wirklich nicht. Und in gewisser Weise macht mich das sehr glücklich.
»Was ist?«, fragte er. »Warum siehst du mich so an?«
»Nur so«, sagte sie leichthin, drehte sich um und begann, die Spülmaschine auszuräumen. Das war eigentlich seine Aufgabe, aber sie tat es immer. Warum sollte es heute anders sein? »Morgen? Oh, ich glaube, ich hole Emily von der Schule ab und fahre rüber zu Mum.«
»Das ist eine Stunde mit dem Auto.« Er hob die Brauen. »Es freut mich für dich, Janice, dass du Zeit für solche Sachen hast. Wirklich.«
»Ich weiß.« Sie lächelte. Cory wies immer wieder darauf hin, was für ein leichtes Leben sie führte, mit ihren Freelancejobs hier und da anstelle einer richtigen Arbeit, wie er sie hatte. Aber sie biss auf diesen Köder nicht an. »Ich hab das Projekt mit der Website erledigt und dachte mir, ich nehme mir die Zeit, bevor ich mit dem nächsten Job anfange. Vielleicht bleiben wir bei Mum – vielleicht essen wir bei ihr zu Abend.« Sie schwieg, starrte auf das Besteck in ihrer Hand, in dem sich ihr Gesicht verschwommen widerspiegelte, und sagte sehr langsam: »Ja. Ich bin morgen nicht in der Stadt, Cory. Den ganzen Nachmittag nicht.«
20
U m sieben Uhr abends war die Welt so kalt und dunkel, als wäre es Mitternacht. Es gab keinen Mond, keine Sterne, nur das Licht der Sicherheitsbeleuchtung des Sägewerks am Ende der Straße. Flea hielt an, stieg aus und streifte eine Fleeceweste sowie eine Regenjacke über. Sie trug Thinsulate-Handschuhe und eine Wollmütze. Meist machte ihr die Kälte nichts aus – in ihrem Job eine Voraussetzung –, aber in diesem Herbst zeigte sich das Wetter von seiner unerbittlichen Seite, die jeder zu spüren schien. Sie zeigte dem schläfrigen Polizisten in
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