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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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vertraut.«
    Die Einfahrt in den Kanal ging langsam vonstatten. Sie schoben das Schlauchboot vorsichtig hinein und bugsierten es an Hindernissen und Wracks vorbei. Einkaufswagen ragten wie Skelette aus dem Schlick. Flea und Wellard trugen die Trockenanzüge, die bei Fließwasserrettungen eingesetzt wurden, mit roten Schutzhelmen und Gummistiefeln mit Stahlkappen und -schäften. Beide führten die kleine Rettungsausrüstung mit sich: vor der Brust befestigte Kreislaufatemgeräte, die ihnen für dreißig Minuten saubere Luft verschaffen würden, wenn sie in eine Gasblase geraten sollten. Schweigend leuchteten sie mit ihren Helmlampen die Wände und den Boden des Tunnels ab.
    Die Kähne waren von den Bootsleuten früher mit den Beinen durch den Tunnel bewegt worden. »Legging« nannte man diese Technik: Sie hatten auf dem Rücken gelegen und sich mit den Füßen unter der Tunneldecke vorangestoßen, um Tonnen von Kohle, Holz und Eisen zwei Meilen weit durch die Dunkelheit zu befördern. Damals hatte sich die Tunneldecke sicher beängstigend nah über der Wasseroberfläche befunden, und einen Treidelpfad gab es hier nicht. Flea und Wellard konnten jetzt nur deshalb aufrecht gehen, weil der Wasserspiegel des Kanals sich so weit gesenkt hatte, dass auf der einen Seite eine schmale Kante aufgetaucht war, die sie benutzen konnten.
    Es war warm dort unten – die beißende Kälte drang nicht so tief in den Tunnel hinein, und das Wasser konnte nicht gefrieren. Hier und da war es so seicht, dass kaum mehr als ein dicker, schwarzer Schlick um ihre Knöchel schwappte.
    »Das ist Bleicherde.« Sie waren fünfhundert Meter weit gekommen, als Flea sprach. »Aus dem Zeug macht man Katzenstreu.«
    Wellard, der das Schlauchboot schob, blieb stehen und leuchtete mit seiner Taschenlampe an die Decke. »Das ist keine Katzenstreu , Sarge. Nicht bei dem Druck, der darauf liegt. Sehen Sie die Risse? Das sind massive Schichten. Ich meine, wirklich massiv. Wenn so ein Brocken runterkommt, ist das nicht wie Katzenstreu, sondern eher wie ein Ford Transit, der Ihnen auf den Kopf fällt. Könnte Ihnen ernsthaft den Tag versauen.«
    »Sagen Sie nicht, Sie haben ein Problem damit.«
    »Nein.«
    »Na los.« Sie sah ihn aus dem Augenwinkel an. »Sagen Sie’s mir. Sind Sie sicher?«
    »Was denn?«, fragte er gereizt. »Natürlich bin ich sicher. So weit hat mich der Beauftragte für Gesundheit und Arbeitssicherheit nicht unter der Fuchtel. Noch nicht.«
    »Aber es gibt keine Garantien.«
    »Ich hasse Garantien. Warum, glauben Sie, bin ich bei dieser Einheit?«
    Sie lächelte ihm grimmig zu, und beide schoben die behandschuhten Hände in die Schlaufen des Zodiac und zogen an dem Boot, bis es sich von der Stelle bewegen ließ. Ruckartig glitt es voran und schaukelte im schwarzen Wasser hin und her. Als es sich wieder beruhigt hatte, setzten sie ihren langsamen Marsch durch den Tunnel fort. Man hörte nur das Plantschen ihrer Stiefel im Wasser, ihr Atmen und das leise Ping der Gasdetektoren an ihrer Brust, ein beruhigendes Zeichen dafür, dass die Luft rein war.
    Teile der Decke waren mit Ziegelsteinen ausgemauert, andere nicht. Das Licht ihrer Helmlampen wanderte über seltsame Pflanzen, die durch die Erdspalten wuchsen. Ab und zu mussten sie Haufen von hereingebrochener Ton- und Bleicherde überwinden. Alle paar hundert Schritte trafen sie auf einen Luftschacht: Ein Loch mit einem Durchmesser von knapp zwei Metern reichte mehr als dreißig Meter hoch bis zur Erdoberfläche und ließ Luft herein. Der erste Hinweis auf einen solchen Schacht war der silbrige Schimmer in der Ferne vor ihnen. Langsam wurde das Licht dann immer heller, bis sie ihre Lampen ausschalten konnten. Dann standen sie unter dem Loch, und das Tageslicht, das zwischen den Pflanzen an den Wänden des Schachts herunterfiel, beleuchtete ihre Gesichter.
    Es wäre einfacher gewesen, sich durch diese Luftschächte in den Tunnel herunterzulassen, um ihn zu erkunden, aber sie waren unten durch schwere, verrostete Gitter verschlossen. Schmutz war dort hindurchgefallen, und unter jedem lag haufenweise vermodertes Laub, Zweige und Müll. Einer war von einem Bauern verwendet worden, um Tierkadaver zu entsorgen. Unter deren Gewicht hatte das Gitter nachgegeben, und im Kanal lag ein Berg von stinkenden Tierknochen. Flea blieb mit dem Boot daneben stehen.
    »Nett.« Wellard hielt sich Mund und Nase zu. »Müssen wir hier anhalten?«
    Sie ließ den Lichtstrahl über das Wasser wandern und entdeckte

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