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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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dem Mund. »Haben Sie was gehört?«
    »Sie nicht?«, flüsterte sie zurück.
    »Nein. Aber Sie wissen ja …« Er deutete mit einem kreiselnden Zeigefinger auf sein Ohr. Das Team musste sich regelmäßig einem Hörtest unterziehen, um festzustellen, ob der Wasserdruck, bei dem sie arbeiteten, ihre Trommelfelle beschädigte. Alle wussten, dass Wellards Hörvermögen in einem Ohr um fünf Prozent verringert war. »Ich bin nicht so gut wie Sie.«
    Sie steckte einen Finger ins linke Ohr und tat, als lauschte sie wieder. Aber Wellard war kein Idiot, und diesmal funktionierte die Nummer nicht. »Mein Gott.« Er seufzte. »Sie können nicht mal überzeugend lügen.«
    Sie ließ die Hand sinken, funkelte ihn an und wollte etwas sagen, brach dann aber ab, denn ihr fiel auf, dass sich im Tunnel etwas veränderte. Das Wasser an ihren Knien geriet kaum merklich in Bewegung. Von oben kam ein Geräusch wie ferner Donner.
    »Das kann ich hören«, sagte Wellard leise. »Das kann ich deutlich hören.«
    Reglos richteten sie den Blick zur Decke.
    »Ein Zug.«
    Das Donnern wurde immer lauter. Nach ein paar Sekunden war es ohrenbetäubend. Die Wände vibrierten, als bebte die Erde. Ein Tosen erfüllte den Tunnel, das Wasser geriet in Wallung, und Lichtreflexe von der großen Lampe blitzten kreuz und quer auf. Irgendwo vor ihnen in der Dunkelheit fielen Steinbrocken klatschend ins Wasser.
    » Shit «, zischte Wellard und zog den Kopf ein. » Shit-Fuck .«
    Und dann, fast so schnell, wie es begonnen hatte, war es wieder vorbei. Lange Zeit rührte sich keiner von beiden. Schwer atmend standen sie nebeneinander, starrten zur Decke hinauf und lauschten dem Klatschen, als vor ihnen im Dunkeln noch ein, zwei Steine ins Wasser fielen.
    »Sie sollen zurückgehen«, hörten sie eine Stimme aus dem Sprechfunkgerät. Sie klang wie Jack Cafferys, dachte Flea. »Sagen Sie denen, sie sollen herauskommen.«
    »Haben Sie gehört, Sarge?«, fragte der Officer am Funkgerät. »Der Ermittlungsleiter meint, Sie sollen rauskommen.«
    Flea schob ihren Helm in den Nacken, hakte die Hände in die Schlaufen des Boots und beugte sich über den Rand, um ins Funkgerät zu sprechen. »Sagen Sie DI Caffery, die Antwort ist negativ.«
    » Was ?«, zischte Wellard. »Sind Sie verrückt geworden, verdammt?«
    »Hier ist keine Sonde zu sehen. Außerdem habe ich auf der anderen Seite dieses Einbruchs etwas gehört, Sir.« Sie war schon dabei, die Ausrüstung, die sie brauchte, aus dem Zodiac zu ziehen: einen Spaten und eine Atemschutzmaske. »Ich möchte gern nachsehen, was es war. Zwischen dieser Einsturzstelle und der eigentlichen könnte sich ein Zwischenraum befinden.«
    Sie hörte, wie Caffery etwas zu dem Mann am Funkgerät sagte. Seine Stimme hallte. Offenbar war er in den Tunnel hineingewatet.
    »Sarge?« Der Officer meldete sich wieder. »Der Ermittlungsleiter sagt, er hat es in der Einsatzbesprechung schon diskutiert: Es gibt keinen handfesten Beweis dafür, dass sie im Tunnel ist, und er wird hier kein Leben riskieren. Sorry, Sarge, ich geb’s nur weiter.«
    »Schon gut. Ich weiß, dass er zuhört, aber wenn Sie jetzt bitte weitergeben würden, dass ich ein Profi bin, dass ich hier meine Arbeit tue und niemandes Leben riskiere. Und …«
    Sie brach ab. Wellard hatte das Kabel aus dem Funkgerät gezogen. Es war still im Tunnel. Er starrte sie an, und seine Augen funkelten.
    »Wellard. Was, zum Teufel, soll das?«
    »Ich lasse Sie das nicht machen.«
    »Aber hinter der Einsturzstelle könnte etwas sein. Gleich dahinter auf der anderen Seite.«
    »Nein. Dieser Schutt liegt da schon ewig.«
    »Hören Sie, ich hab so ein Gefühl …«
    »Eine Ahnung? Sie haben so ’ne Ahnung, ja?«
    »Wollen Sie mich verarschen?«
    »Nein, Sie verarschen mich, Sarge. Ich hab eine Frau und Kinder zu Hause, und Sie haben nicht das Recht – einfach nicht das Recht …« Er brach ab und starrte sie schwer atmend an. »Was ist los mit Ihnen? Sechs Monate lang haben Sie sich aufgeführt, als wäre Ihnen die Einheit scheißegal. Wäre es nach Ihnen gegangen, hätten wir uns alle hinlegen und sterben können. Und aus heiterem Himmel sind Sie plötzlich ganz scharf drauf, uns beide umzubringen.«
    Flea war sprachlos. Sie kannte Wellard seit sieben Jahren. Sie hatte auf seiner Hochzeit eine Rede gehalten und ihn sogar im Krankenhaus besucht, als sein Leistenbruch operiert wurde. Außerdem war sie die Patin seiner Tochter. Sie arbeiteten fabelhaft zusammen. Er hatte sie noch nie im Stich

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