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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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    Caffery hob den Kopf und schaute sich um. Er sah die Leute in den Büros. Die Beamten und die Polizeimitarbeiter. Die Hilfskräfte. Es gab sicher hundert Personen, die hier Zutritt hatten. Und dann fiel ihm noch etwas anderes ein. Er erinnerte sich, wie er gedacht hatte, der Entführer habe teuflisches Glück gehabt, weil er die automatische Kennzeichenerfassung umfahren hatte. Fast so, als hätte er gewusst, wo die Kameras standen.
    »Boss?«
    Langsam drehte er den Kopf. Prody saß nach vorn gebeugt da. Sein Gesichtsausdruck wirkte merkwürdig, und er war blass, sehr blass. Beinahe grau. Er hielt einen der Briefe des Entführers in der Hand. Den, der an die Bradleys gegangen war und in dem die Rede davon gewesen war, dass er Marthas Gesicht neu geordnet habe. »Boss?«, wiederholte Prody leise.
    »Ja?«, fragte Caffery abwesend. »Was ist?«
    »Kann ich Sie unter vier Augen sprechen?«

36
    D ie Unterwassersucheinheit war für allgemeine Unterstützungsaufgaben und spezielle Sucheinsätze ausgebildet. Ihre Zuständigkeit bei der Fahndung nach Martha Bradley war damit beendet. Nach dem katastrophalen Einsatz am Kanal kehrte in den Büros in Almondsbury am Rand von Bristol wieder die Routine ein, und PC Wellard fand endlich Zeit, das computerunterstützte interkulturelle Training zu absolvieren, das für jeden Officer Vorschrift war. Bei diesem Kurs musste er zwei Tage vor dem Monitor sitzen und auf Buttons klicken, um damit zu sagen, jawohl, er verstehe, dass es falsch sei, zu verurteilen und zu diskriminieren. Als Flea auftauchte, saß er in einem Raum abseits des Hauptbüros und starrte missgelaunt auf seinen Bildschirm. Sie vermied es geflissentlich, die Ereignisse am Kanal noch einmal zu erwähnen, schob einfach den Kopf durch die Tür und lächelte. Tat, als wäre nichts gewesen. »Hallo.«
    Er hob grüßend die Hand. »Tag.«
    »Wie läuft’s?«
    »Bin bald fertig. Ich glaube, es funktioniert. Sie werden mich nicht noch mal dabei erwischen, dass ich einen Nigger einen Nigger nenne.«
    »Herrgott, Wellard. Ich werde noch wahnsinnig.«
    Er hob beide Hände und kapitulierte. »Tut mir leid, Sarge, aber das hier ist eine Beleidigung. Man bringt uns Dinge bei, die ganz von allein kommen sollten, oder? Selbst die Schwarzen in der Truppe – sorry, die britischen Mitbürger afrokaribischer Abstammung – empfinden es als Beleidigung. Den anständigen Polizisten braucht man diesen Scheiß nicht beizubringen, und die Drecksäcke, die es nötig haben, klicken die Kästchen an, grinsen und sagen die richtigen Worte. Und dann gehen sie in die Versammlung ihrer National Party, rasieren sich den Schädel kahl und lassen sich das Georgskreuz dahin tätowieren, wo die Sonne nicht hinscheint.«
    Flea holte tief Luft. Wellard war fleißig, geduldig und total farbenblind; er liebte unterschiedslos jeden im Team. Gerade er brauchte dieses Training nicht. Er hatte recht, es war eine Beleidigung für Leute wie ihn. Aber es gab andere, denen es eingehämmert werden musste.
    »Ich kann mich dazu nicht äußern, Wellard. Das wissen Sie.«
    »Ja – und genau das ist es, was nicht stimmt mit der Welt. Keiner will was sagen. Das ist der verdammte McCarthyismus, wie wir ihn schon mal hatten.«
    »Der McCarthyismus ist mir völlig schnuppe, Wellard. Bringen Sie das Scheißding einfach zu Ende. Sie brauchen nur die richtigen Kästchen anzuklicken, verdammt. Das kann ein dressierter Seehund.«
    Wellard klickte weiter auf dem Monitor herum, während Flea die Tür schloss und zu ihrem Schreibtisch ging, wo sie sich setzte und ausdruckslos durch die offene Tür in den Umkleideraum starrte. Zum hundertsten Mal versuchte sie sich auf den Gedanken zu konzentrieren, der im hintersten Winkel ihres Kopfes herumgeisterte.
    An einem der Spinde klebte eine Weihnachtskarte, die erste, einsam wie ein Schneeglöckchen im Januar. Alles andere – die Stiefel auf dem Gestell in der Ecke, die Pinnwand mit den unanständigen Postkarten und blöden Cartoons – befand sich schon seit Monaten hier. Seit Jahren. Es war da gewesen, als Thom Misty überfahren hatte; das wusste sie, weil sie sich erinnerte, dass sie genau hier gesessen und sich gefragt hatte, woher der Verwesungsgeruch kam. Damals war ihr nicht klar gewesen, dass er von ihrem eigenen, draußen geparkten Auto stammte. Dass der Gestank von sich zersetzendem Fleisch im Kofferraum durch die Klimaanlage ins Gebäude drang.
    Klimaanlage. Sie trommelte mit den Fingern auf dem

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