Verderbnis
alten Kühlschrank stand ein ausgebeulter Pappkarton mit allem möglichen Krimskrams. Sie spähte hinein: alte Tauchermasken, ein Paar Flossen, ein Atemregler, an dem der Gummi vom Salzwasser zerfressen war, ein Einmachglas mit sonnengebleichten Muscheln, eine tote Seeanemone und eine altmodische Höhlenforscherlampe, eine Karbidlampe aus Messing mit einem gesprungenen Glasreflektor.
Sie nahm sie heraus und schraubte sie auf. Im Innern befand sich eine kleine Kammer: der Generator, in dem das explosive Acetylengas produziert und zu dem kleinen Reflektor geleitet wurde, wo es sich entzündete und ein starkes Licht ausstrahlte. Sie schraubte sie wieder zu und wühlte noch einmal in dem Karton herum, bis sie einen grau-weißen Klumpen fand, ungefähr so groß wie ihre Faust, eingewickelt in eine alte Co-op-Plastiktüte: Kalziumkarbid – die entscheidende Zutat.
Sei vorsichtig, Flea . Die Stimme ihres Vaters drang aus der Vergangenheit zu ihr. Sei vorsichtig damit. Das ist kein Bonbon. Du darfst es nicht berühren. Und was immer du tust, mach es nicht nass, denn dann wird das Gas freigesetzt .
Dad. Der Abenteurer. Der Wahnsinnige. Der Bergsteiger, der Taucher, der Höhlenkletterer. Die moderne Sportausrüstung war ihm großenteils verhasst; er hatte sich mit einfachen Hilfsmitteln durch das Leben gehangelt – und niemals hätte er sie ohne etwas, das sie retten konnte, wenn »dieser übertechnisierte moderne Mist« den Geist aufgab, in den Tunnel gehen lassen. Danke, Dad. Sie legte das Kalziumkarbid und die Lampe auf den Überlebensanzug, trug alles hinaus zum Wagen, legte es in den Kofferraum, schlug den Deckel zu und stieg ein. Der Regen tropfte von ihrer Berghaus-Jacke.
Sie schob die Kapuze herunter, zog ihr Telefon heraus und scrollte durch die Liste der gespeicherten Nummern. Bei Cafferys Namen hielt sie inne. Ausgeschlossen. Er würde ihr einen abendfüllenden Vortrag halten, wenn sie es wagen sollte, das Thema Sapperton-Tunnel zu erwähnen. »Prody« glitt vorbei. Sie stoppte, ließ die Liste zurücklaufen, überlegte kurz, dachte: »Ach, scheiß drauf«, und wählte die Nummer.
Die Mailbox meldete sich. Seine Stimme klang nett, beruhigend. Fast hätte sie gelächelt. Er war bei der Arbeit, vielleicht in einer Besprechung wegen des Entführers. Ihr Daumen wanderte zur Trenntaste, aber dann dachte sie daran, wie oft sie schon eingehende Anrufe auf ihre Mailbox umgeleitet hatte, weil sie in einer Besprechung saß, und wie sauer sie nachher gewesen war, wenn sie feststellte, dass Leute angerufen und kein Wort hinterlassen hatten. »Hallo, Paul. Hören Sie, Sie werden mich für bescheuert halten, aber mir ist eingefallen, was mir in dem Tunnel entgangen ist. Es gibt da noch einen Lüftungsschacht, ungefähr eine Drittelmeile weit vom östlichen Eingang entfernt.« Sie sah auf die Uhr. »Es ist jetzt halb sieben, und ich fahre noch mal hin, um es mir anzusehen. Ich werde genauso hineingehen wie gestern, denn Abseilen ist nicht mein Ding, und diese Luftschächte sind gefährlicher als der Tunnel selbst, egal, was die Stiftung sagt. Und nur zur Information: Ich tue das nicht in meiner Dienstzeit – ich habe Feierabend. Ich rufe Sie heute Abend um elf Uhr an und berichte Ihnen, was sich ergeben hat. Und, Paul …« Sie schaute zum Küchenfenster. Drinnen hatte sie das Licht brennen lassen, das warm und gelb leuchtete. »Paul, Sie brauchen mich deshalb jetzt nicht zurückzurufen. Wirklich nicht. Ich mach’s so oder so.«
44
J anice brachte Emily um acht Uhr in dem neuen Pyjama, den sie bei Marks & Spencer gekauft hatten, ins Bett. Emilys Haar war noch ein bisschen feucht vom Baden und roch nach Erdbeershampoo. Sie hielt Jasper im Arm.
»Wo ist Dad?«
»Er arbeitet noch, Püppchen, kommt aber bald.«
»Er arbeitet immer.«
»Hey, fang nicht wieder damit an. Hops, rein mit dir.« Emily krabbelte in das Doppelbett. Janice deckte sie zu, beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss. »Du bist ein so braves Mädchen. Ich hab dich sehr, sehr lieb. Und nachher komme ich noch mal und nehme dich in den Arm.«
Emily rollte sich zusammen, klemmte sich Jasper unter das Kinn, steckte den Daumen in den Mund und schloss die Augen. Janice streichelte ihr sanft über das Haar und lächelte. Ihr Kopf war leicht vom Prosecco, und sie fühlte sich ein bisschen beschwipst. Jetzt, da der Entführer einen Namen und ein Gesicht besaß, hatte sie nicht mehr so viel Angst vor ihm. Als hätte sein Name, Richard Moon, ihn kleiner
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