Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
in jüngster Vergangenheit auf den Rat seiner Würfel verzichtet? Er versuchte sich auf diese Frage zu konzentrieren. Allzu viele konnten es nicht gewesen sein. Rudolf fiel der Mord an Alessandro ein. Da hatte er die Würfel zwar über die Todesart mitentscheiden lassen, aber nicht über die Liquidation an sich. Gut, das war offenbar kein Fehler gewesen, ganz und gar nicht. Bei dem Palazzo, da hatte er die Würfel befragt. Sie hatten ihm dringend zu dieser Verbesserung seines Lebensstils geraten, er konnte sich noch genau an die Augenzahl erinnern. Und gab es noch irgendetwas von Belang, wo er die Würfel außen vor gelassen hatte? Rudolf erschrak, als ihm bewusst wurde, dass er beim Kauf von Mossina in seiner Euphorie das Würfeln vergessen hatte. Unglaublich, da würfelte er um die belanglosesten Nichtigkeiten, und bei dieser großen Sache hatte er einfach nicht daran gedacht. Zu keiner Sekunde war ihm die Idee gekommen, seine elfenbeinernen Freunde um Rat zu fragen. Rudolf versuchte den Gedanken abzuschütteln. Er hatte es vergessen, punktum, es war nicht mehr zu ändern. Und was hätten ihm die Würfel raten können? Etwa, Mossina nicht zu kaufen und die Chance seines Lebens ungenutzt verstreichen zu lassen? Rudolf lächelte, er fühlte sich wieder besser. Nein, diesen Rat hätten ihm die Würfel nie und nimmer gegeben, da konnte er absolut sicher sein.
Er hatte die Abzweigung erreicht, die von der Hauptstraße zum Weingut führte. Das Tor stand offen, das Schild
Proprietà privata. Vietato l’accesso
amüsierte ihn, war er doch der neue Besitzer von Mossina. Rudolf fuhr durch die lange Zypressenallee und hielt vor dem Haupthaus.
Eine junge Frau kam auf ihn zugeeilt. »Mi dispiace, Sie können hier nicht parken.«
Rudolf konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Und ob er das konnte. »Mein Name ist Rudolf Krobat, ich bin hier mit Dottor Luzzo verabredet.«
»Dottor Luzzo, wer soll das sein?«
Rudolf zog eine Augenbraue nach oben. »Dottor Luzzo, liebe junge Frau, ist der Generalbevollmächtigte des Conte Battista Colleoni. Und ich bin der neue Eigentümer von Mossina. So, und jetzt fragen Sie schon nach Dottor Luzzo, ich vertrete mir hier in der Zwischenzeit die Beine.«
Die Frau schaute ihn entgeistert an. Sah eigentlich ganz nett aus, das Mädchen, dachte Rudolf. Vielleicht gehörte sie zum Personal, dann hatte er sie sozusagen mitgekauft.
»Ich kenne keinen Dottor Luzzo, und der Conte hat auch keinen Generalbevollmächtigten.«
Jetzt hörte aber der Spaß langsam auf. »Woher wollen Sie das wissen? Kann ich bitte Signor Scalmozzi sprechen, er kennt mich.«
»Tut mir Leid, Scalmozzi ist heute in Mailand. Woher ich das wissen will, dass der Conte keinen Generalbevollmächtigten hat? Ich bin seine Enkelin!«
Rudolf zuckte zusammen. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Warum kannte sie dann Dottor Luzzo nicht? Die Sache fing an etwas unübersichtlich zu werden.
»Entschuldigen Sie bitte meine Impertinenz, doch ich habe einen unterschriebenen Kaufvertrag bei mir und bereits eine ansehnliche Zahlung geleistet. Aber vermutlich hat ihr Großvater sie darüber nicht informiert. So viel ich weiß, wollte er die Angelegenheit diskret abgewickelt haben. So, und jetzt werde ich Dottor Luzzo im Büro anrufen. Sie können dann mit ihm sprechen.«
Rudolf nahm sein Handy aus der Jackentasche und wählte die eingespeicherte Nummer. Die junge Frau wartete nicht ab, sondern eilte zurück ins Haupthaus.
Die automatische Ansage trieb Rudolf erste Schweißperlen auf die Stirn. »Il numero da lei selezionato è inesistente. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Kein Anschluss …«
Wie war das möglich, er hatte Dottor Luzzos Büro doch diverse Male unter dieser Nummer erreicht? Egal, er würde jetzt den Kaufvertrag aus dem Auto holen und schnurstracks ins Haus marschieren. Das alles war doch geradezu lächerlich. Noch bevor er sich umdrehen konnte, sah er einen alten Herrn aus dem Gutshaus treten.
»Wer immer Sie auch sind, verlassen Sie sofort meinen Besitz! Immediatamente!« Der weißhaarige Herr brachte eine doppelläufige Schrotflinte in Anschlag. »Ich bin der Conte Colleoni, und ich vertrete auf meinem Grund und Boden das Gesetz.«
Der Conte Colleoni? Was lief hier ab? Rudolf hob beschwörend die Hände. »Kein Grund, sich aufzuregen, verehrter Conte Colleoni, mein Name ist Rudolf Krobat. Sie wissen doch sicher von Ihrem Generalbevollmächtigten Dottor Luzzo, dass ich der Käufer von Mossina bin. Das
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