Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
war Antonella hier? Haben Sie irgendetwas beobachtet? Wann ist sie weggegangen? War sie da in Begleitung?«
Der Barkeeper legte die Hände auf den Tresen und beugte sich nach vorne. »Sie haben Glück. Ich kann Ihnen all Ihre Fragen beantworten. Sie ist gegen Mitternacht gegangen, und zwar in Begleitung eines Mannes.«
»Kannten Sie den Mann?«
»Nein, er war zum ersten Mal hier. Es handelte sich um einen Deutschen. Ich kann seinen Namen nachsehen, wir hatten nämlich Ärger mit seinen Kreditkarten. Wenn Sie bitte einen Moment warten, ich komme gleich wieder.«
Keine Minute später legte er den Kriminalern triumphierend einen Zettel auf die Theke. »Rudolf Krobat ist sein Name. Kreditkarten sind doch was Wunderbares. Ich kann Ihnen übrigens noch einen weiteren Anhaltspunkt geben. Ob man will oder nicht, man bekommt ja doch immer einiges von den Gesprächen mit. Also, dieser Herr Krobat hat offenbar eine Wohnung oder ein Haus in Venedig. Da wollte er mit Antonella hin.«
»Sehr schön, das sollte herauszufinden sein. Sie haben uns wirklich weitergeholfen, mille grazie, arrivederci!«
57
S ein Stimmungstief von vorgestern war nur von kurzer Dauer gewesen. Die missratene Pokerrunde hatte Rudolf weitgehend verdrängt. Und der Zwischenfall mit den Kreditkarten hatte sich auch aufgeklärt. Da hatte doch tatsächlich irgendein Scherzbold in seinem Namen die Kreditkarten als gestohlen gemeldet. Sehr witzig. Jedenfalls war jetzt alles wieder im Lot.
Nur noch wenige Kilometer, dann würde er beim Weingut Mossina vorfahren und von Dottor Luzzo die Schlüssel übernehmen. Der Eingang seiner Zahlung auf das Schweizer Nummernkonto war bereits bestätigt, der Notartermin in zwei Tagen nur noch reine Formsache, und so wollte ihn Dottor Luzzo bereits heute der versammelten Mannschaft als neuen Eigentümer vorstellen.
Rudolf pfiff fröhlich vor sich hin. Seine PR -Agentur in München bereitete schon eine Pressemappe vor, um die Medien von dieser Übernahme zu informieren. Und nächste Woche würde er in Mossina eine Pressekonferenz geben, die nicht nur für die Wirtschafts- und Fachpresse, sondern vor allem auch für die Society-Titel, die über die Schönen und Reichen dieser Welt berichteten, gedacht war. Andrea Bianchi hatte sich für den heutigen Termin entschuldigen lassen. Er war offenbar dabei, ein anderes wichtiges Geschäft einzufädeln. Andrea Bianchi, der ihn zu dieser Pokerrunde eingeladen hatte. Jetzt drängte sich das obskure Kartenspiel doch wieder in sein Bewusstsein, obwohl er sich vorgenommen hatte, nicht mehr daran zu denken. Im Rückblick kam ihm diese Partie ausgesprochen irreal vor. Das Orgelspiel in der Kirche, die brennenden Kerzen, der Altar, der Erzengel. Wie eine Inszenierung in einem Film von Visconti. Vergleichbares hatte er jedenfalls noch nicht erlebt. Zugegeben, Bianchi konnte nichts dafür, dass er so hoch verloren hatte. Er hatte ja auch gar nicht mitgespielt. Das Ganze sei einige Schuhnummern zu groß für ihn, hatte er erklärt. Rudolf schmunzelte. Mit dieser Einschätzung hatte Bianchi wohl nicht falsch gelegen, das war eine Pokerrunde für Hochkaräter gewesen, kein Zweifel.
Warum nur hatte er vorher nicht seine Würfel befragt, ob er an dieser Runde teilnehmen sollte? Mit einer Hand tastete Rudolf nach der kleinen Schatulle, die in seiner Sakkotasche steckte. Die Berührung tat gut. Ja, warum hatte er seine Freunde nicht befragt? Sie hätten ihm sicher abgeraten. Rudolf wurde bewusst, dass er die Würfel in letzter Zeit überhaupt sehr vernachlässigt hatte. Seltsam, hatte er doch früher jede noch so kleine Entscheidung mit den drei Würfeln aus Elfenbein besprochen. Vielleicht lag es daran, dass er sein Leben seit der gelungenen Entführung grundlegend geändert hatte. Der kompromisslosen Alles-oder-Nichts-Strategie, die für ihn seit Kindesbeinen charakteristisch war, hatte er abgeschworen. Sein Leben verlief jetzt weitgehend in geregelten Bahnen. Den erreichten Wohlstand würde er nicht mehr aufs Spiel setzen, diese Zeiten waren vorbei, unwiderruflich vorbei. Daran konnte auch der kleine Rückfall am Kartentisch nichts ändern. Aber vielleicht hatten ihn die Würfel dafür bestrafen wollen, dass er sie so missachtet hatte? Ja, das wäre möglich, diese Kraft traute er ihnen zu. Vielleicht hätten ihn die Würfel auch von Antonella abgeraten, dieser abgehalfterten Nutte aus der Nachtbar. Sie hatte es jedenfalls überhaupt nicht gebracht. Bei welchen Gelegenheiten hatte er eigentlich
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