Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
wurde.
Guido bremste ab und blieb mit laufendem Motor am Straßenrand stehen.
»Hier ist unser Ausflug zu Ende«, stellte er lakonisch fest. »Wir drehen um!«
»Lass uns doch erst mal nachsehen, ob hier irgendwo ein Name steht und wo diese Allee hinführt.« Mark wollte von der Vespa steigen.
»Die Mühe kannst du dir sparen. Außerdem sollten wir besser schnell verschwinden.« Das große Gittertor begann sich elektrisch zu schließen. Guido deutete auf eine Kamera neben dem Tor. »Ich weiß auch so, wer hier residiert. Mark, ich schätze, wir haben ein Problem!«
Guido wendete die Vespa und fuhr Mark zum nahe gelegenen Hotel Villa Ducale, wo Laura und ein Teil ihrer Reisegruppe nächtigten.
»Das muss man den beiden lassen«, bemerkte Guido, »rein geografisch haben sie es besonders gut mit uns gemeint. Sehr viel näher wäre es kaum mehr gegangen. Ich dachte vorhin schon, die fahren direkt in dein Hotel.«
Guido brachte die Vespa im Park des Hotels vor einer angeleuchteten Palme zum Stehen. »Das fehlte mir noch zu meinem Glück«, erwiderte Mark und stieg vom Motorroller. »Nun sag schon, wem gehört der Landsitz, auf dem dieser Alessandro verschwunden ist?«
»Ist alles nicht so einfach, Amico«, antwortete Guido und schlug Mark freundschaftlich auf die Schulter. »Jedenfalls zu schwierig, um es dir jetzt zu erklären. Außerdem bin ich etwas stanco, müde, du verstehst? Also, ich schlage vor, du haust dich jetzt ins Bett. Ich muss noch nach Hause fahren. Grüß Laura von mir. Ich ruf sie an. Ciao, dormi bene!«
34
N achdenklich stand er an der Balustrade der Rialtobrücke und beobachtete das Treiben auf dem Canal Grande. Ein Vaporetto der Linie 1 machte gerade an der Station Rialto fest. Dahinter die elegante Renaissancefassade des Palazzo Dolfin-Manin. Hier lebte einst Ludovico Manin, der letzte Doge Venedigs, der 1797 vor den Truppen Napoleons kapitulieren musste und damit den endgültigen Untergang Venedigs besiegelte. Eine Gondel verschwand im Schatten unter der Brücke. Ob die Fahrgäste wussten, dass der Ponte di Rialto schon einige Male eingestürzt war? Besonders eindrucksvoll muss die Katastrophe 1444 gewesen sein, als die Rialtobrücke, damals noch aus Holz, unter dem Gewicht der Menschen zusammengebrochen war, die sich auf ihr zum Anlass der Hochzeit des Marchese di Ferrara versammelt hatten. Er musste sich eingestehen, dass ihn solche Unglücke belustigten. Gewiss war auch der Stadtbrand von 1513, dem große Teile des Rialto-Viertels zum Opfer fielen, ein grandioses Spektakel gewesen. Die neu errichtete Holzbrücke, die er von einem berühmten Gemälde von Vittore Carpaccio kannte, hatte das Feuer seltsamerweise überstanden. Die damals einzige Brücke über den Canal Grande war dennoch in einem so beklagenswerten Zustand, dass man im 16. Jahrhundert beschloss, jetzt endlich eine Steinbrücke zu bauen. Fast wäre ein Entwurf von Andrea Palladio realisiert worden. Antonio Canal, genannt Canaletto, hat diese nie errichtete schwergewichtige Brücke mit palastähnlichen Aufbauten in einem überaus lebendigen Phantasiegemälde überliefert. Die heutige Brücke stammt von Antonio da Ponte und wurde zwischen 1588 und 1591 erbaut. Der Marmor stammt aus Istrien. Über zwölftausend in den schlammigen Untergrund getriebene Eichenpfähle geben der Brücke ihr solides Fundament. Nach seinem Geschmack zeichnete sich der Ponte di Rialto trotz seines großen Ruhms nicht gerade durch besondere Anmut oder Eleganz aus. Mit seinen Souvenirshops und den drängelnden Touristen hatte er jedes Mindestmaß an Würde eingebüßt. Das änderte freilich nichts am grandiosen Blick, den man von der zentralen Plattform der Rialtobrücke hatte. Man musste nur das Treiben um einen herum ausblenden. Das fiel ihm nicht schwer. In der Kunst, andere Menschen zu ignorieren, hatte er es zu einer gewissen Meisterschaft gebracht.
Er liebte es, hier zu stehen, die Hände auf die Balustrade gestützt, und seinen Blick schweifen zu lassen. Die Paläste, deren Fassaden sich im Canal Grande spiegelten, konnten einem schon gefallen. Eigentlich war es an der Zeit, sich nach einer entsprechenden Behausung umzusehen. Ein Palazzo am Canal Grande, ja, das hatte Stil. Damit wäre er über jeden Zweifel erhaben. So würde er seinem Leben sozusagen die Krone aufsetzen. Und wann sollte er sich diesen Traum erfüllen, wenn nicht jetzt? Nun, es musste nicht unbedingt der Canal Grande sein, ein Palazzo an einem kleinen Kanal in einem der
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