Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Sestieri, in Santa Croce, San Polo oder Dorsoduro, tat es auch. Eine eigene Bootsanlegestelle, die war wichtig. Und elegante Gesellschaftsräume im Piano nobile. Dort würde er seine Gäste empfangen und sich an ihrem blassen Neid erfreuen. Und gewiss hätte auch sein Palazzo eine schaurig-schöne Vergangenheit, gab es Legenden, die die Mauern erzählten. Ihm fiel die Geschichte des Palastes Ca’ Foscari ein, die er besonders liebte. Er beugte sich leicht nach vorne. Dort, wo der Canal Grande in einer Biegung verschwand, irgendwo dort musste sie sein, die Ca’ Foscari, benannt nach dem Dogen Franceso Foscari, der sich diesen Familienpalast erbauen ließ. Der Mann hatte wirklich ein göttliches Pech. Erst wurde sein geliebter Sohn und Erbe des Mordes angeklagt und in die Verbannung geschickt, wo er schließlich starb. Makabrerweise musste sein Vater das Urteil unterzeichnen. Dann wurde der gramgebeugte Francesco Foscari auch noch seines Amtes als Doge enthoben, was zu seinem baldigen Tode führte. Den fertigen Palast hat er jedenfalls nicht mehr erlebt. Kein Wunder, dass sich der englische Dichter Lord Byron von der Tragödie der Foscari zu einem Drama hinreißen ließ. Lord Byron, den sah er ohnehin als Verwandten im Geiste an. Byron stammte aus einer Familie von großen Spielern, die ähnlich wie er immer bereit waren, alles auf eine Karte zu setzen. Außerdem war er dem weiblichen Geschlecht sehr zugetan. Er hatte gelesen, dass Byron in Venedig ein
Cavalier servente
, ein dienender Ritter, gewesen war. Darunter verstand man die Rolle eines offiziellen Liebhabers, der mit Wissen des Ehemanns für die sexuellen Bedürfnisse der Angetrauten zuständig war. Im Falle von Byron handelte es sich um Marianna, die wunderschöne zweiundzwanzigjährige Ehefrau eines venezianischen Kaufmanns. Ja, Venedig war in vielerlei Hinsicht sehr fortschrittlich gewesen. Ihm fiel Verdis Oper
Due Foscari
ein, die auf Byrons Drama basierte. Nun, diese Oper war seiner bescheidenen Meinung nach kaum ein Meisterwerk, da gefielen ihm
Nabucco, Macbeth, Aida
und
Rigoletto
viel besser. Nicht zu vergessen
Otello
, seine Lieblingsoper von Verdi. Mit dem alten Foscari hätte er jedenfalls nicht tauschen mögen. Dann schon lieber mit einem späteren Bewohner des Palastes. König Heinrich III . von Frankreich – er glaubte sich zu erinnern, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht gekrönt war – ließ sich hier von einer Kurtisane verwöhnen. Wie war doch gleich ihr Name? Veronica Franco, richtig, so hieß die Edelhure. Er fuhr sich genussvoll mit der Zunge über die Lippen. So eine venezianische Kurtisane, mit der er sich in den Nächten vergnügen würde, die gehörte natürlich auch dazu. Ohne Kurtisane wäre sein Palast nicht perfekt. Es musste ja nicht immer dieselbe Nutte sein, in Venedig gab es durchaus eine ansprechende Auswahl.
Er stellte fest, dass seine Gedanken Kapriolen schlugen. Plötzlich fiel ihm das Flittchen von gestern Abend ein. Desdemona hatte sie sich genannt, einfach lachhaft. Die Desdemona aus Verdis
Otello
hatte bestimmt ein anderes Format als diese billige Schlampe. Wo war er gerade gewesen, beim Palast des Foscari? Desdemona? Otello? Ja, die Paläste Venedigs, sie waren ein unendlicher Quell für Tragödien, einfach wunderbar. Am Ende des Canal Grande, oder am Anfang, wie man’s nimmt, jedenfalls kurz vor San Marco, neben dem Hotel Gritti Palace, da stand die Casa di Desdemona. Jedes Mal, wenn er an diesem Palazzo Contarini-Fasan im Vaporetto oder Motoscafo vorbeifuhr, bedachte er ihn mit einem stillen Gruß. Hier wurde einst die Patrizierin Desdemona von ihrem Mann Cristoforo Moro aus Eifersucht ermordet. William Shakespeare schuf aus diesem Drama seinen
Otello
. Und Verdi komponierte nach den Szenen Shakespeares die Oper, die er so mochte. Ein Mord aus Eifersucht? Jago, Rodrigo, Cassio! Wahn und Liebesgewalt? Ein Spiel mit höchsten Einsätzen – und tödlichem Ausgang.
Mit tödlichem Ausgang? Das war der maximale Einsatz, der nicht immer zu vermeiden war. Er dachte an die zurückliegende Entführung. Alles hatte perfekt geklappt. Die Schäfchen waren im Trockenen. Keinem war ein körperlicher Schaden zugefügt worden. Ein seelischer vielleicht schon, aber wer konnte darauf Rücksicht nehmen? Bei ihm hatte ja auch nie jemand gefragt, wie es im Inneren aussah. Mit tödlichem Ausgang? Er legte die Stirn in Falten. Ja, ganz würde das auch in diesem Fall nicht zu vermeiden sein. Die Entführung bedurfte im
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