Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
eine Lücke zwischen zwei dornigen Rosenbüschen und spähte um die Ecke. Die Eingangstür lag nur wenige Meter vor ihm im Schein einer gelb leuchtenden Kutscherlampe. Außer dem monotonen Zirpen der Zikaden war nichts zu hören. Die Luft schien rein. Mutig geworden, robbte er noch ein Stück weiter. Links neben der Haustür war ein kleiner gemauerter Sims zu sehen. Lag da nicht irgendetwas? Mark richtete sich langsam auf. Genau, ein Handy! Wahrscheinlich hatte es dieser Typ beim Aufschließen der Tür auf dem Sims abgelegt und dort vergessen. Mark juckte es in den Fingern. Er schnappte sich das Handy, warf noch einen kurzen Blick auf den Eingangsbereich des Hauses, wobei er sich die wichtigsten Merkmale einzuprägen versuchte, dann trat er den Rückzug an.
»Und? Wie war’s?«, begrüßte ihn Guido mit leiser Stimme.
»Sehr aufschlussreich.« Und nach einer kurzen Pause: »Es spricht alles dafür, dass wir am richtigen Ort sind. Vor der Tür sind drei Steinstufen, daran erinnere ich mich. Und dann ist da auch ein Gitter, über das ich gelaufen bin, außerdem ein Kiesweg und ein großer Topf, an dem ich mir das Schienbein angehauen habe. Es passt einfach alles.«
»Dann ist es auch das richtige Haus, basta. So viele Zufälle gibt es nicht.«
»Ich hab übrigens ein Souvenir mitgebracht.« Mark zeigte Guido das Handy. »Das hat er vor dem Haus liegen gelassen.«
Guido schüttelte verständnislos den Kopf. »Und was willst du mit dem Cellulare?«
»Keine Ahnung«, musste Mark zugeben.
»Na, hoffentlich vermisst er es nicht allzu bald.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Gute Frage. Wir sollten dem Tipo einen Besuch abstatten und uns mit ihm unterhalten.«
»Bist du verrückt?«
»Perché? Er ist alleine im Haus, davon können wir ausgehen. Die Gelegenheit ist günstig.«
»Ich glaube kaum, dass er auf unsere Fragen freiwillig antworten wird.«
»Wer spricht denn von freiwillig? Wir müssen ihn überzeugen. Zugegeben, das wird nicht leicht werden, aber mir wird schon etwas einfallen.«
Während Mark noch darüber nachdachte, mit welchen Mitteln man diesen Hünen zum Reden bringen könnte und wie vor allem sicherzustellen war, dass sie dabei keinen körperlichen Schaden nahmen, sahen sie plötzlich die Lichtkegel eines Fahrzeugs, das von der Landstraße in ihren Weg abbog.
»Madonna mia, wir bekommen Besuch!«
Guido und Mark legten sich flach auf den Boden. Der Wagen kam näher und wendete. Im Haus ging das Licht aus. Der Riese trat heraus und sperrte die Tür ab.
»Ciao, Alessandro, scusa per il ritardo.«
»Ciao, Alberto. ’Fa niente, non c’è problema, andiamo.«
»Alessandro«, wiederholte Mark leise. Jetzt hatte sein Entführer immerhin schon einen Namen.
»Aspetta, dov’è il mio telefonino?« Alessandro blieb stehen und klopfte seine Taschen ab.
»Jetzt haben wir den Salat«, sagte Guido.
»Un attimo!« Alessandro ging zum Eingang zurück, starrte grübelnd auf den Sims neben der Tür, schüttelte den Kopf, schloss das Haus auf und verschwand. Eine gute Minute später tauchte er fluchend wieder auf. Als seine Suche auch in der Scheune und im dort geparkten Lieferwagen ergebnislos blieb, packte er wütend einen Schubkarren, stemmte ihn hoch und warf ihn über eine Hecke. Offenbar ging es ihm nach dieser Leibesübung besser. Alessandro machte eine Kniebeuge, gab Alberto das Zeichen zum Aufbruch und stieg in den Wagen, der sofort losfuhr.
»Ein dunkler Cadillac«, stellte Mark fest, »ein guter alter Fleetwood.«
»Nicht gerade typisch für diese Gegend. Los, Mark, hinterher.«
Sie sprinteten den Weg hinunter. Guido startete die Vespa. Mit hochdrehendem Motor jagten sie dem Wagen hinterher. Die Fahrt gestaltete sich noch abenteuerlicher als die vorangegangene. Nur mit Mühe konnte Guido den Anschluss halten. Auf den Geraden zog der Cadillac regelmäßig weg, was Guido in den Kurven wettzumachen versuchte. Und das alles wieder ohne Licht. Mark klammerte sich an Guido – das Handy hatte er in die Hosentasche gesteckt – und hoffte auf einen guten Ausgang dieser Parforcejagd. Sollten Alberto und Alessandro auf die Autostrada fahren, dann konnten sie die Verfolgung sowieso abbrechen, so viel war klar. Aber das taten die beiden nicht. Auf Landstraßen ging es an Padua vorbei Richtung Stra und dann weiter entlang dem Brenta-Kanal. Nach einer guten halben Stunde bog der Cadillac durch ein offen stehendes Tor in eine repräsentative Auffahrt, die auf beiden Seiten von Zypressen gesäumt
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