Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Nachspiel noch einer dramatischen Zuspitzung. Verdi, Shakespeare, Lord Byron hätten gewiss ihre Freude daran. Gerade weil alles so wunderbar nach Plan gelaufen war, musste er das Werk zu einem soliden Abschluss bringen. Nichts und niemand durfte ihn mehr gefährden. Auch nicht dieser Alessandro. Nein, das konnte und wollte ihm nicht gefallen. Einen Komplizen zu haben, der einen über die Klinge gehen lassen könnte, barg unkalkulierbare Risiken. Zwar war dieser muskelbepackte Hüne in seinem Verhalten leicht auszurechnen, aber konnte er wirklich sicher sein? Vielleicht nicht heute, doch in einigen Jahren mochte Alessandro in eine Situation kommen, die ihn zum Verräter werden ließ. Und was würde dann aus ihm werden? Im freien Fall aus dem Paradies ins Fegefeuer? O nein!
Er schlug entschlossen mit der flachen Hand auf die Balustrade der Rialtobrücke. Neben ihm zuckte eine junge Touristin zusammen, die mit aufgestützten Ellbogen gerade ihren Fotoapparat in Position bringen wollte. Er nahm sie genauso wenig wahr wie das verliebte Paar links neben ihm, das eng umschlungen die Magie der Brücke und des Canalazzo auf sich wirken ließ.
So Leid es ihm tat, Alessandro musste eliminiert werden. Erst mit seinem Verschwinden wären alle Spuren verwischt. Wie von selbst fuhr seine Hand in die Jackentasche und ertastete dort die kleine silberne Schatulle mit den elfenbeinernen Würfeln, die ihm den Weg durchs Leben wiesen. Ob er sie auch diesmal befragen sollte? Sein Zögern war nur von kurzer Dauer. Nein, zum Tod von Alessandro gab es keine Alternative. Dies war eine Entscheidung von so zwingender Logik, dass er hierzu den Rat seiner Würfel nicht benötigte. Alessandro musste sterben, erst dann war sein eigenes Leben gesichert. Fast erleichtert atmete er tief durch. Er würde diesen finalen Akt so schnell wie möglich in die Tat umsetzen. Zugegeben, damit hatte er sich keine leichte Aufgabe aufgebürdet. Alessandro war nicht nur unermesslich stark, sondern es bereitete ihm auch ein geradezu kindliches Vergnügen, Gewalt auszuüben. Aber all das würde Alessandro nichts helfen. Diesmal wäre er selbst das Opfer – und diese Erfahrung dürfte für Alessandro ziemlich neu sein. Außerdem konnte man davon ausgehen, dass seine geistigen Fähigkeiten nicht ganz so hoch entwickelt waren wie seine Muskulatur. Es bedurfte also einer intelligenten Methode, Alessandro gefahrlos zu entsorgen. Ein Schmunzeln umspielte seine Mundwinkel. Da fielen ihm doch auf der Stelle einige raffinierte Möglichkeiten ein. Er nahm sich vor, mehrere Varianten gedanklich auszuarbeiten und dann seine Würfel zu befragen. Er würde ihnen die endgültige Entscheidung über die Methode der Liquidation überlassen. So viel Mitspracherecht war er seinen Würfeln schuldig.
35
L aura und Mark hatten sich ihr Frühstück im Hotel Villa Ducale aufs Zimmer bringen lassen. Laura kam aus dem Bad und setzte sich an den kleinen Tisch, wo Mark bereits wartete und mit sorgenvoller Miene einen Teebeutel im Kännchen schwenkte.
»Die Teekultur ist in Italien nicht besonders weit entwickelt«, stellte er resignierend fest. »Außerdem hast du noch die Zahnbürste im Mund. Du scheinst mir heute etwas unorganisiert.«
Irritiert nahm Laura die Zahnbürste in die Hand, um sie dann kurz entschlossen mit der Bürste voran in Marks Teekanne zu stecken.
»Sag mal, spinnst du?« Mark sah entgeistert auf seinen Tee.
»Nein, ich bin nur stinksauer auf dich!«
»Warum denn das, was habe ich getan?«
»Wir hatten vereinbart, dass du nichts unternimmst und mit Bill zur Reisegruppe zurückkommst. Und was machst du? Legst dich in Padua wie ein kleines Kind beim Indianerspielen auf die Lauer.«
»Ich weiß nicht, was du hast, es ist ja nichts passiert.«
»Ja, fortunatamente, aber auch nur, weil ich dir Guido geschickt habe.«
»Okay, da bin ich dir auch wirklich dankbar dafür. Apropos Guido, wer ist das eigentlich, wie stehst du zu ihm?«
»Jetzt fängst du schon wieder damit an. Freu dich, dass er dir geholfen hat. Ich habe übrigens vorhin mit ihm telefoniert, während du im Bad warst.«
»Und? Was sagt er?«
Laura biss ein Stück vom noch warmen Cornetto ab. »Er sagt, dass ihr großes Glück hattet und jetzt wisst, wer dich entführt hat und wo du versteckt gehalten wurdest …«
»Das habe ich dir doch schon heute Nacht erzählt.«
»Unterbrich mich nicht, trink deinen Tee.«
Mark betrachtete die Zahnbürste. »Ich hätte lieber etwas von deinem
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