Vereist (German Edition)
stand. »Deine Sicherheit hat für mich Vorrang. Besand zu finden, steht an zweiter Stelle.«
»Glaubst du, er wird wieder töten?«
»Ich weiß, dass er es tun wird.«
»Er ist ein schlechter Mensch. Aber dein Interesse an ihm … scheint einen ziemlich persönlichen Hintergrund zu haben. Du willst nicht einfach nur für Gerechtigkeit sorgen. Vielleicht hat dein Boss für Besands Transporte nicht die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen getroffen, aber … Ich verstehe nicht …«
»Besand hat meinen Bruder getötet.«
Trotz des fahlen Lichts sah er, wie sie blass wurde. Sie atmete scharf ein, und ihre Stimme zitterte ein wenig. »Ich wusste, dass mehr dahintersteckt. Du hast von Anfang an den Eindruck gemacht, als würde dich etwas treiben. Erst dachte ich, du wolltest nur unbedingt deinen Job erledigen. Dann glaubte ich, du bist so eisern entschlossen, weil du mit dem Marshal im Flugzeug befreundet warst.«
Alex widerte sich plötzlich selbst an. Er hatte Brynn und das ganze Team benutzt und hinters Licht geführt. »Ich war tatsächlich ein Getriebener, und ich bin es immer noch. Samuel war das letzte Familienmitglied, das mir noch geblieben ist, und Besand hat ihn mir genommen. Der Dreckskerl hat meinen Bruder getötet, um den Mord an einer Frau zu vertuschen. Samuel hatte den Mord beobachtet, die Zusammenhänge aber nicht verstanden.«
»Wie meinst du das – nicht verstanden?«
Alex schluckte und sah in ihr verwirrtes Gesicht. »Samuel war ein Junge in einem Männerkörper. Er war geistig behindert. Bei seiner Geburt gab es Komplikationen; er bekam nicht genug Sauerstoff. Um ein halbwegs normales Leben zu führen, brauchte er Unterstützung.
Ich wollte ihn zu uns nach Hause holen, aber meine Frau war dagegen.«
»Das ist auch ziemlich viel verlangt«, flüsterte Brynn. »Du hast ihn wohl sehr geliebt, und dass deine Frau nicht dasselbe empfand, muss dich innerlich zerrissen haben.«
»Du hättest es gekonnt«, sagte Alex leise.
Brynn zuckte zusammen und schnappte nach Luft.
»Bitte vergiss, was ich gerade gesagt habe. Das war nicht fair.«
Sie schüttelte den Kopf. »Solche Gedankenspiele solltest du lieber lassen. Ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn … Und du kannst es auch nicht wissen.« Sie fixierte die Eiswand vor ihr, und Alex hätte sich gern selbst in den Hintern getreten.
»Es war dumm von mir, ihr die Schuld zu geben. Samuel in dem Heim unterzubringen, in dem Besand ihn in die Finger bekam, war meine Idee.«
»War es ein gutes Heim? War er dort glücklich?« Brynn musterte Alex eingehend.
Er brachte ein kleines Lächeln zustande. »Ja, es war gut. Sie machten Ausflüge, und er durfte sich im Garten um die Rosen kümmern. Es war, als würde er bei liebevollen Großeltern wohnen. Samuel war dort glücklich.«
»Dann darfst du dir auch keine Vorwürfe machen. Wärst du denn den ganzen Tag für ihn da gewesen, wenn er bei dir gelebt hätte? Musstest du nicht immer bis spätabends arbeiten? Hättest du alle Mahlzeiten für ihn gekocht und ihm etwas vorgelesen? Wäre es dir möglich gewesen, ihn zu fördern und seinen Horizont zu erweitern? Oder hätte er den ganzen Tag vor dem Fernseher gesessen und darauf gewartet, dass du nach Hause kommst?«
Alex betrachtete seine Hände. Sie hatte ausgesprochen, was er tausendmal gedacht hatte. Aber aus ihrem Mund klang es besser. Aufrichtiger.
»Manchmal müssen wir uns eben von anderen helfen lassen. Weil sie etwas besser können als wir. Egal, wie weh es tut oder wie verantwortlich wir uns fühlen.« Sie lächelte traurig. »Als ich bei Jims Schwiegereltern einzog, war ich ein sehr selbstständiges junges Mädchen. Ich war daran gewöhnt, alles allein zu machen. Essen kochen, Kleider kaufen, pünktlich zur Schule gehen. Als Annas Mutter mir zum ersten Mal die Schulbrote geschmiert hat, hätte ich fast geweint. Ich hatte bis spät in die Nacht gebüffelt, dann verschlafen und musste dringend zum Bus. Ich wäre ohne Brote aus dem Haus gerannt, aber sie wusste, was ich brauchte, und kümmerte sich darum. Hilfe anzunehmen, fiel mir unsagbar schwer. Mein ganzes Leben lang hatte ich mich nur auf mich selbstverlassen, und es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass ich mich besser auf die Schule konzentrieren konnte, wenn ich mir von Annas Eltern ein paar Dinge abnehmen ließ.
Das taten sie sogar gern. Anfangs verstand ich das nicht, aber dann wurde mir bewusst, dass sie Pflegekinder aufnahmen, weil sie Liebe weitergeben wollten und konnten.
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