Vereister Sommer
Offizieren des Ministeriums für Staatssicherheit –, die meine Rechtsanwältin dazu trieb, waghalsige Verteidigungsmanöver zu riskieren, indem sie auf mein gerade erschienenes »Epitaph für Martin Luther King« und meine Gedichte gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam verwies, sie gegen den Willen des Oberrichters zitierte, weil sie prozessrechtlich darauf bestand, wie sie ebenso darauf bestand, dass ihre Argumentation zu meinen Gunsten ins Protokoll aufgenommen werden solle, um dann festzustellen, dass ich, ihr Mandant, ja immer protestiert hätte, wenn irgendwo die Menschenrechte verletzt würden. Da hatte sie allerdings etwas gesagt und dem schon seit Stunden geifernden Gerichtsvorsitzenden geradezu eine Steilvorlage geboten: »Wollen Sie, Frau Kollegin«, schrie er ihr mit sich fast überschlagender Stimme entgegen, »damit etwa sagen, dass in der DDR die Menschenrechte verletzt werden?!« »Natürlich nicht!«, reagierte sie erstaunlich kalt, um dann, was mich vollkommen überraschte, ebenso kühl mit einem weiteren Argument zu meinen Gunsten nachzustoßen – und weißt du, Slavik, womit? –, mit genau jener psychoanalytischen Theorie, die ich ihr wenige Tage zuvor glaubte ausgeredet zu haben! Und so kam nun auch unser Vater ins Spiel, |121| seine und meiner Mutter Geschichte aus dem Jahr 1950 und was mein Engagement für Alexander Dubcek aus ihrer Sicht damit zu tun hätte. Während meine Anwältin sprach, sah ich ihr Gesicht, das vor allem Oberrichter Passon zugewandt war, natürlich nicht, entweder saß oder stand sie ja mit dem Rücken zu mir; aber ich sah das Gesicht dieses Mannes der totalen Macht, dem sie das alles gerade entwickelte, wie es seine Farbe wechselte, mal grau wurde, mal rot, auch irgendwie grün, und einen kurzen Moment lang dachte ich, entweder bekommt er jetzt einen Nervenzusammenbruch oder einen Herzinfarkt. Aber nichts davon geschah, sondern mit letzter Kraft schrie er ihr entgegen, als sie fertig war, dass das, was sie vorgebracht hätte, absolut nicht zur Sache gehöre! Das hätte er jedoch nicht sagen sollen, denn nun sprang ich auf und rief ihm entgegen, und ob das zur Sache gehöre, denn meine Eltern, beide, Mutter wie Vater, seien Opfer des Stalinismus gewesen, und auch das hätte mich geprägt! Was folgte, war ein akustisches Tohuwabohu, in dem der Gerichtsvorsitzende mir lautstark klarzumachen versuchte, dass er mir nicht das Wort erteilt hätte, und weil ich weiterredete, dass er es mir nun entziehe, und weil ich immer noch nicht aufhörte, gegen sein Geschrei anzureden, inzwischen wohl auch selber schrie, hörte ich nur noch, dass ich von der weiteren Verhandlung ausgeschlossen werden würde, wenn ich nicht sofort den Mund hielte. Es bedurfte des erregten Einredens meiner Rechtsanwältin auf mich, die mich zugleich mit zitternden Händen auf meine Bank zurückdrückte, damit Ruhe einkehrte im Saal, und Jahre später erzählte mir meine Mutter, die mit meiner Schwester, meinem Schwager und Verwandten im Flur davor ausgeharrt hatte, dass man das Gebrüll und Geschrei bis nach draußen gehört hätte. Sie hätten zwar nicht gewusst, worum es im Einzelnen gegangen sei, aber sie hätten begriffen, dass ich mich gerade mächtig wehrte, was sie zusätzlich stolz gemacht hätte. Schon auf meinem Gang in Handschellen durch den offenen Gerichtsflur zum |122| Verhandlungssaal, eskortiert von zwei Uniformierten des Ministeriums für Staatssicherheit, hatte meine Schwester die Gelegenheit genutzt, mir überraschend entgegenzuspringen, mich zu berühren und mir zuzurufen: »Halte durch! Wir sind alle auf deiner Seite!« Und meine Mutter, so erzählte sie später, als wir alle schon in Hamburg wohnten, riskierte gleich bei ihrem ersten Gespräch mit dem für die Anklage zuständigen Staatsanwalt die Bemerkung, wie ich würden ja Hunderttausende denken! Was den baldigen Ankläger gegen mich die Drohung ausstoßen ließ, sie solle sich zukünftig genau überlegen, was sie sage!
Jenem Oberrichter, Slavik, bin ich allerdings später und zu seiner furchtbaren Überraschung wiederbegegnet. Nur wenige Monate nach dem Fall der Mauer, im Frühjahr 1990, während der Dreharbeiten zu einem dokumentarischen Fernsehspiel über meine Zeit in der Diktatur, stellten wir ihn auf seiner Parzelle in der Kleingartenanlage »Am Heidensee« am Stadtrand von Schwerin. Er konnte nicht mehr entkommen, und so versuchte er schließlich, aus der Not eine Tugend zu machen, und lud mich ein, nachdem sich der
Weitere Kostenlose Bücher