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Vereister Sommer

Vereister Sommer

Titel: Vereister Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schacht
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des Faschismus, nicht wahr.
    Schacht:
Welches Jahr war das? Also ungefähr?
    Passon:
Wann ich angefangen hab?
    Schacht:
Ja, ja.
    Passon:
Na, so 38.
    Schacht:
Ach, 38, ja?!
    |128| Passon:
37, 38 hab ich da angefangen, bis zu meiner Einberufung.
    Schacht:
Als Rechtsanwaltsgehilfe? Oder wie sagt man?
    Passon:
Na, ja, so Gehilfe, Bürovorsteher. Aber dadurch, dass ich bei einem blinden Rechtsanwalt war, war ich in der Lage, alles, alles mitzuerleben. Unmittelbar. Auch im Gericht, was andere nicht hatten, weil ich immer neben ihm saß, und hab mir natürlich auch viele Rechtskenntnisse dadurch angeeignet. Es musste ihm alles vorgelesen werden. Ob das nun die Gesetzbücher waren, und hab so natürlich auch eine gewisse Liebe zur Justiz entwickelt. Justiz in der Richtung, dass es natürlich nicht immer einfach ist, Normen auszulegen, Kausalketten zu knüpfen, nach links und nach rechts abzuwägen, und … und … und …
    Schacht:
Wissen Sie, was mich noch …
    Passon:
Ja, das will ich Ihnen wohl sagen …
    Schacht:
Nee, mich interessiert …
    Passon:
Entschuldigen Sie, wenn ich, jetzt noch mal … Wenn Sie aber so wie ich etwa an die dreihundert Mordprozesse geführt hätten, die alle grausam sind, grausam, wie man sich das nicht vorstellen kann …
    Schacht:
Ja, dann muss Ihnen doch aber besonders …
    Passon:
… nagt das am Innersten und macht den Menschen auch kaputt.
    Schacht:
Das ist richtig, aber dann muss Ihnen doch besonders deutlich geworden sein, in meinem Fall zum Beispiel …
    Passon:
Ja?
    Schacht:
… dass so was eigentlich nicht geht. Denn ich meine, ich war ja schwer zu vergleichen mit den Fällen, von denen Sie jetzt reden.
    Passon:
Ja, ja, das ist richtig.
    Schacht:
Ich meine, wer hat Ihnen letztendlich diese sieben Jahre, die der Löwenstein beantragt hat …
    Passon:
Ja?
    Schacht:
… wer hat Ihnen letztendlich klargemacht, dass Sie das,
|129|
oder verbindlich gemacht, dass Sie das zu tun und nichts anderes zu machen haben? Wer hat Ihnen sozusagen so weit …
    Passon:
Ja?
    Schacht:
… Ihr Mitleidsvermögen genommen?
    Passon:
Ja.
    Schacht:
Sie haben ja den jungen Mann da vor sich gesehen, den Zweiundzwanzigjährigen, von dem Sie genau wissen konnten, wenn Sie ein Rechtsempfinden haben …
    Passon:
Ja?
    Schacht:
… dass er nichts verbrochen hat.
    Passon:
Ja, ja.
    Schacht:
Wer hat Ihnen sozusagen so weit die Seele zerstört oder das Mitleid, dass Sie das trotzdem gemacht haben? Das interessiert mich die ganzen Jahre.
    Passon:
Ja. Ja, ja. Sehen Sie, das ist natürlich eine Frage, die kompliziert zu entscheiden ist.
    Schacht:
Ja, sicher.
    Passon:
Und ich will Ihnen sagen, ich hatte es angedeutet gehabt, im Prinzip war es ja so …
    Schacht:
Sie waren auch im Ton …
    Passon:
Der Richter.
    Schacht:
Sie waren auch im Ton nicht sehr freundlich. Man kann ja auch schon vom Ton her …
    Passon:
Ja?
    Schacht:
… schon signalisieren, ob man etwas notgedrungen macht, es einen aber eigentlich eher anekelt, oder haben Sie aus Angst, dass es dieses Gefühl gibt …
    Passon:
Wissen Sie, ich will Ihnen …
    Schacht:
Oder was ist da passiert bei Ihnen?
    Passon:
Unter uns …
    Schacht:
Ja.
    Passon:
Wenn ich eine bestimmte Linie nicht eingehalten hätte, wären sofort die entsprechenden Sachen von der Staatsanwaltschaft an die Generalstaatsanwaltschaft und an die Partei gekommen.
    |130| Schacht:
Das ist …
    Passon:
Sofort.
    Schacht:
Das ist uns allen klar, aber …
    Passon:
Sofort.
    Schacht:
Was mich aber auch noch interessiert, inwieweit, rein faktisch, auch das Ministerium für Staatssicherheit an dieser Stelle zugelangt hat, was die Höhe des Urteils betrifft?
    Passon:
Das kann ich Ihnen gar nicht sagen.
    Schacht:
Na, irgendeiner vom Staatssicherheitsdienst hat doch mit Ihnen Kontakt gehabt?!
    Passon:
Nein. Haben wir gar nicht. Das war uns mit dem Ministerium strikt untersagt. Unser Kontakt durfte sich nur auf die Staatsanwaltschaft beziehen.
    Schacht:
Also hat der Staatsanwalt Kontakt mit dem Staatssicherheitsdienst gehabt?
    Passon:
Der war der Mann.
    Schacht:
Der Löwenstein also?
    Passon:
Er ist ja der Vorgesetzte des Untersuchungsorgans. Wie er der Vorgesetzte des Untersuchungsorgans der Volkspolizei ist, ist er auch der Vorgesetzte des dortigen Untersuchungsorgans. Und zwar absolut. Ich habe nicht eine Auszeichnung bekommen von einer Staatssicherheit, und was es alles so gab, was manche so sagen. Ich hatte mit diesen Leuten nichts zu tun. Nur mit der Staatsanwaltschaft

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