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Vereister Sommer

Vereister Sommer

Titel: Vereister Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schacht
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Jahre.
    Passon:
Ja, Herr Schacht.
    Schacht:
Sie sind katholisch, sagen Sie?
    Passon:
Ich habe, ich sage Ihnen das auch ehrlich, ich habe mit meinem Beichtvater auch über diese Sachen jetzt in der letzten Zeit gesprochen.
    Schacht:
Ja?
    Passon:
Mit dem Beichtvater.
    Schacht:
Ja.
    Passon:
Nicht wahr, und er hat mir an sich sehr viel Mut gemacht, sehr viel Mut. Die Kirche ist die eine Seite. Die Absolution, die gegeben wird. Die zweite Seite ist die des Weltlichen. Des Weltlichen. Nur frage ich mich natürlich auch sehr, immer wieder, was kann ich tun? Ich kann Ihnen auch sagen, dass ich in den letzten, möchte ich mal sagen, zehn Jahren eine eigenartige Entwicklung genommen habe: eine Kontra-Staat-Entwicklung, die sich nicht offen, sondern immer im engeren Kreise … Sie werden das auch verstehen. Sie werden das von vielen anderen Sachen auch vielleicht wissen, dass man mit dem unzufrieden war, mit jenem … und … und … und … Ich könnte Ihnen hundert Beispiele sagen, wo ich in eine solche Situation geraten bin, dass ich auch immer bisschen tiefer geraten bin. Ich war ja früher sogar mal Bezirksgerichtsdirektor, in Frankfurt/Oder.
    Schacht:
Ja?
    Passon:
Das wissen Sie nicht?
    Schacht:
Das weiß ich nicht, nein.
    Passon:
Nein, nein. Und ich musste dort das Feld räumen, weil ich einfach nicht mehr bereit war, bestimmten, kann man sagen, Anweisungen der Bezirksleitung nachzukommen.
    Schacht:
Sie haben mir einen Zettel geschrieben, auf dem das stand.
    |126| Passon:
Herr Schacht, der Zettel an sich war ja gar nicht für Sie bestimmt.
    Schacht:
Aha?!
    Passon:
Der Zettel war an sich bestimmt nachdem, ich war kurze Zeit vorher, habe ich, äh, im Magdeburger Krankenhaus gelegen.
    Schacht:
Ja?
    Passon:
Aufgrund meines derzeitigen Zustands.
    Schacht:
Ja, ja.
    Passon:
Ich sage Ihnen ehrlich, ganz ehrlich, Herr Schacht, verwerten Sie es aber nicht, Sie könnten das ja: Ich habe zur Zeit derartige Depressionen …
    Schacht:
Ja. Das stand auch drauf.
    Passon:
… derartige Depressionen, dass ich mich manchmal frage, setzt du dich ins Auto, gibst dem Auto 120 und haust gegen die Brücke.
    Schacht:
Ja?
    Passon:
Das ist die innere Unausgeglichenheit, ich will nicht sagen Schuld. Das ist schwer, alles so richtig einzuordnen. Aber das sind die Depressionen, die ich habe, die begonnen haben schon vor etwa sieben, acht Jahren, die dann auch zu meiner Invalidisierung führten. Ich war einfach auch nicht mehr in der Lage, größere Verfahren durchzuführen. Ich habe mein, ich habe als, und das ist das, was ich heute am meisten bald nicht mehr verstehe – Sie können ein bisschen Lateinisch? Culpa, culpa, die Schuld –, wievielmal ich Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa! gesagt habe, ist kaum manchmal zu beschreiben. Vor allen Dingen, wenn ich in der Kirche war.
    Schacht:
Können Sie sich denn an den Prozess gegen mich noch erinnern?
    Passon:
Wissen Sie, siebzehn Jahre ist das her. Ich kann mich noch etwas erinnern, weil es der einzige Prozess war dieser Art, den ich geführt habe. 106 damals, glaube ich, nicht wahr?
    Schacht:
106, ja.
    |127| Passon:
Ich habe ja im Prinzip, wissen Sie, mein ganzes Leben Mordprozesse geführt. Tötungsdelikte, Tötungsdelikte.
    Schacht:
Ich war in Brandenburg anschließend, das wissen Sie?!
    Passon:
Nein, ich weiß da gar nichts mehr.
    Schacht:
Und da hab ich Mörder …
    Passon:
Darf ich Ihnen einen Kaffee vorsetzen?
    Schacht:
Ich hab, danke. Ich hab gerade getrunken.
    Passon:
Ich mach Ihnen gerne einen.
    Schacht:
Ich glaub Ihnen das. Ich bin tatsächlich abgefüllt. Ich kenne Mörder. Aus Brandenburg. Also, wollen Sie jetzt sagen, dass das der einzige …
    Passon:
Nein!
    Schacht:
… politische Prozess war, den Sie geführt haben?
    Passon:
Wissen Sie, jetzt kommt’s drauf an: der politische Prozess, der in eine solche Richtung gelaufen ist.
    Schacht:
Wer hat … Wissen Sie, was mich interessiert?
    Passon:
Ich wär auch gern bereit, ich könnte Ihnen Sachen sagen, aufgrund meiner vierzigjährigen Tätigkeit in der Justiz …
    Schacht:
Das glaube ich gerne.
    Passon:
Unter uns: Ich bin seit dem vierzehnten Lebensjahr in der Justiz tätig.
    Schacht:
Ja?
    Passon:
Seit dem vierzehnten Lebensjahr! Ich hab beim Rechtsanwalt gelernt. Aber das bleibt mal bloß jetzt hier unter uns.
    Schacht:
Ja.
    Passon:
Im vierzehnten Lebensjahr. Beim Rechtsanwalt gelernt. Bei einem blinden Rechtsanwalt. War dadurch in der Lage, überall mitzuwirken. Das war natürlich die unselige Zeit

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