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Vereister Sommer

Vereister Sommer

Titel: Vereister Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schacht
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nicht einmal Ersatzvater. Es reiche, wie man mit ihm, seinen Ideen und den Menschen, die an ihn glaubten, umgegangen sei und umgehe. Basta.
    Bei dieser Rede, Slavik, in einem selbstverständlich abgehörten Besuchszimmer des Ministeriums für Staatssicherheit, wurde das ohnehin bekümmerte Gesicht der Rechtsanwältin Hildegard Lewerenz aus der kleinen mecklenburgischen Stadt Bad Doberan, die einmal sogar als Präsidentin der Synode meiner Landeskirche fungiert hatte, noch trauriger, und sie fragte mich, fast schon verzweifelt, ob es denn an diesem Staat wirklich nichts Gutes für mich gäbe? Nach dieser Frage tat ich einen Moment lang, als überlegte ich ernsthaft, aber es war eine selbstauferlegte Zwangspause, um sie nicht total vor den Kopf zu stoßen: Mein »Nein, nichts!«, hätte auch wie aus der Pistole geschossen kommen können. Nachdem sie es aber nun gehört hatte, wenn auch verzögert und im Wissen darum, wer alles es mithörte, gab sie auf und seufzte den für mich entscheidenden Satz heraus: »Dann kann ich nur auf Überzeugungstäter plädieren.«
    Darauf, Slavik, hatte ich im Prinzip gewartet, und aufatmend sagte ich zu ihr, dass ich damit sehr einverstanden sei. Ging es mir doch, weißt du, genau darum: um meine mir nicht abzuhandelnde oder auszuredende Überzeugung, dass dieses System prinzipiell inhuman sei, eben totalitär, und deshalb ebenso prinzipiell verschwinden müsse, am besten gestern. Es war mir jedenfalls absolut unmöglich, wegen vielleicht eines Jahres Gefängnis weniger, meine Selbstachtung aufzugeben durch die Übernahme von Propagandapositionen, die für mich identisch waren mit der puren Lüge. So haben sie mich dann zwar auch bestraft, äußerst hart, mit sieben Jahren Gefängnis |119| für Gedichte, Geschichten und Aufsätze,
die
Macht hatten sie; aber ich war nicht gebrochen, und darum hatten sie mich zuletzt doch nicht nur nicht besiegt, in meinen Augen hatten sie sogar verloren, weil sie mit ihrem Urteil über mich nur eines bewiesen: dass ich im Recht war mit meinem Urteil über sie und ihr System. In meinem Schlusswort im Prozess, ich habe es in meinen Akten wiedergefunden und kann es fast auswendig, habe ich ihnen das auch noch einmal mit aller Deutlichkeit ins Gesicht gesagt:
     
    SCHLUSSBEMERKUNG
     
    Dieser Prozeß gegen mich hat im Grunde genommen nichts anderes bewiesen, als daß ich mir im Laufe einer Reihe von Jahren eine eigene politische Überzeugung – humanistischen Charakters – erarbeitet und diese engagiert vertreten habe. Ich habe also, um ein Wort Friedrich Engels’ zu gebrauchen, »keinen Kindermord an meinen eigenen Gedanken« begangen. Aufgrund meiner schriftstellerischen Ambitionen erfolgte die Manifestierung dieser politischen Überzeugung nicht nur in Diskussionen und brieflichen Disputen, sondern auch in literarischen Versuchen unterschiedlicher Form und Qualität. Diese Handlungsweise ist so legitim, wie sie alt ist, und in Deutschland kennt man politische Literatur kritischen Inhalts spätestens seit Walther von der Vogelweide. Zum anderen steht diese Handlungsweise auch in völligem Einklang mit den Prinzipien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, und besonders mit dem Artikel 19 dieser Erklärung, der da u. a. klar und eindeutig besagt, daß jeder Mensch »das Recht auf freie Meinungsäußerung« und »Verbreitung von Informationen mit allen Mitteln und über alle Grenzen hinweg« hat. Das beweist, daß dieser Prozeß und meine kommende Verurteilung eine erneute schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte in der DDR darstellen, gegen die ich auch in Zukunft Stellung nehmen werde. Nichts wird mich daran hindern. Und mit der gleichen Entschlossenheit werde ich am kommenden
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Donnerstag Ihr ungerechtfertigtes Urteil zur Kenntnis nehmen – bereit, es zu tragen und seine Folgen durchzustehen. Die absolute Gewißheit, daß Wahrheit und Menschenrecht auf meiner Seite sind, gibt mir die dazu notwendige Kraft.
    Schwerin, 15.   11.   1973
     
    Und weil das alles so klar war für mich, Slavik, von Anfang an, verfielen Staatsanwalt Löwenstein und Oberrichter Passon, so hießen die beiden Rechtsvertreter spielenden Handlanger der zweiten deutschen Diktatur, wechselseitig in Kreischen, Brüllen und höhnische Triumphgebärden, wenn sie glaubten, mich an irgendeinem Punkt ganz schlau überführt zu haben. Es mochte diese Volksgerichtshofatmosphäre gewesen sein – der Verhandlungssaal war vollbesetzt mit Funktionären der Partei und

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