Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vereister Sommer

Vereister Sommer

Titel: Vereister Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schacht
Vom Netzwerk:

Aber geschlagen, zerstört.
    Schacht:
Dass Sie vor Gericht kommen?
    Passon:
Vorm Gericht hab ich keine Angst, nein. Aber in dieser Richtung habe ich Ängste, die gehen so weit, bis zum Suizid.
    Schacht:
Haben Sie Ängste vor den Opfern?
    Passon:
Nein, nicht vor den Opfern. Wissen Sie, vor dem Opfer, so wie Sie es jetzt sind – Sie sind ein intelligenter Mensch. Die Aggressivität, die hier bei uns ist, wo Wohnungen eingeschlagen werden, wo, ich kann Ihnen sagen, ich hab auch schon Telefonanrufe bekommen, mit Morddrohungen.
    Schacht:
Ja?
    Passon:
Ja. Es kommt drauf an, wer sie macht. Sind das primitive Menschen? Und meistens, jedes System hat sich immer die Primitivsten genommen. Das war im Faschismus so, die SA und die SS, die alles gemacht hat, ja. Und das ist die Angst.
    Schacht:
Das war im Kommunismus auch nicht anders.
    Passon:
Bitte?
    Schacht:
Das war im Kommunismus auch nicht anders.
    Passon:
Das war im Kommunismus, na, ja, aber ich möchte jetzt mal sagen, mit der nach außen …
    Schacht:
Ja, in den siebziger, in den achtziger Jahren vielleicht nicht mehr. Aber gucken Sie mal in die fünfziger Jahre, in die vierziger, wenn ich da nur an die Honecker-Brigaden denke, die haben auch ganz schöne Dinger abgezogen.
    Passon:
Gab es.
    |139| Schacht:
Und die Auslese an der Spitze war ja selber ein Ausbund an Primitivität.
    Passon:
Ja, bin ich mit Ihnen heute einverstanden. Aber ich will Ihnen damit bloß sagen, ich war nicht der, wie soll man sagen, SED- oder, wie man sagt, Terror-Richter.
    Schacht:
Aber Sie müssen damit leben, dass ich Sie so empfunden habe. Und dass Sie so gewirkt haben. Und dass Sie sich aus dieser Sicht an diesem Tag möglicherweise sogar gegen Ihre eigene Würde vergangen haben.
    Passon:
Ja, wissen Sie, es ist natürlich jetzt nach siebzehn, achtzehn Jahren …
    Schacht:
Sie haben viele Prozesse mit anderen Menschen gehabt. Ich hab nur einen gehabt mit Ihnen. Meine Bilder sind scharf, ganz scharf. Ich hatte Zeit …
    Passon:
Ist verständlich.
    Schacht:
… ich hatte Zeit in Brandenburg, fast vier Jahre, um mir diese Bilder einzuprägen.
    Passon:
Ja.
    Schacht:
Jede Szene.
    Passon:
Ja.
    Schacht:
Jeden Moment. Von Ihnen. Von Löwenstein. Von den Schöffen, Hübner und Gebhard. Das waren die Schöffen damals. Hab ich mir genau gemerkt.
    Passon:
Ja, ich weiß, ja.
    Schacht:
Die immer rumgeschlafen haben und nur einmal aufgewacht sind.
    Passon:
Also, ich, ich glaub’s nicht, wissen Sie.
    Schacht:
Die nicht dabei waren, mein ich, im übertragenen Sinne.
    Passon:
Das weiß ich nicht mehr im Moment.
    Schacht:
Das wissen Sie nicht mehr, natürlich nicht. Aber ich weiß es, ich will nur sagen …
    Passon:
Ich weiß nur, einer vom Rundfunk, glaube ich, war da als Zeuge.
    Schacht:
Nee, vom Rundfunk nicht. Nee, nee, nee. Der Saal war
|140|
voll, auf der einen Seite mit Leuten vom Staatssicherheitsdienst, Vertretern vom Rat des Bezirks …
    Passon:
Also, das weiß ich alles nicht mehr.
    Schacht:
Sehen Sie, das wissen Sie alles nicht mehr.
    Passon:
Nein, nein.
    Schacht:
Nein, nein! Gut. Ich will Ihnen nur sagen, ich hab die Bilder präzise in Erinnerung.
    Passon:
Ja, ja, das glaub ich.
    Schacht:
Logisch.
    Passon:
Ja, ja, das ist mir auch klar.
    Schacht:
Ich muss los! Ich muss Ihnen, das hab ich Ihnen schon vorhin gesagt, ich muss Ihnen das abnehmen, dass Sie das mir gegenüber bereuen. Ich kann da nicht reingucken bei Ihnen. Mit der Schuld, die Sie da auf sich geladen haben, müssen Sie selber fertigwerden. Wenn Sie einen Bezug zur Kirche haben, dann wird Ihnen das leichter gemacht. Wenn Ihnen das wieder etwas bedeutet. Als Christenmensch bin ich verpflichtet, wenn ich die Sache ernst nehme, Ihnen zu vergeben. Als politischer Mensch passe ich auf, dass Menschen wie Sie und andere nie wieder in solche Machtpositionen kommen können.
    Passon:
In die komme ich sowieso nicht. Wissen Sie, ich war einer der ersten, die sofort die Partei verlassen hatten. Nun kann man sagen, sehr spät, nicht wahr. Ja. Aber ich habe gesagt, nachdem man immer mehr Einsichten gewonnen hatte und man merkte, dass tatsächlich soviel Unrecht sich angesammelt hatte, sein eigenes hat man ja gar nicht wahrgenommen … Eine letzte Bitte, die ich äußern darf: Tun Sie meinen Namen nicht erwähnen in dem Prozess, und ich möchte nicht, dass Bilder von mir kommen.
    Schacht:
Das entscheide ich nicht. Das kann ich nicht sagen.
    Passon:
Sie haben doch Einfluss darauf. Wissen Sie, was dann kommen würde,

Weitere Kostenlose Bücher