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Vereister Sommer

Vereister Sommer

Titel: Vereister Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schacht
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    Schacht:
Also mit ’n paar Gebeten und mit ’n paar Ave Marias ist das nicht abgetan. Ich frage Sie das.
    Passon:
Nein. Nein, ist es nicht abgetan. Es geht darum, dass ich, insbesondere mein Handeln, meine letzten Lebensjahre, die ich habe … Ich hab ja nicht mehr lange zu leben, nicht wahr. Ich weiß, das hat man mir gesagt, sehen Sie, ich spritze
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als Diabetiker drei Mal am Tag. Ich habe auch eine schwere Angina Pectoris, Sie haben’s vielleicht gelesen, ja?
    Schacht:
Stand da drauf.
    Passon:
Das sind alles Auswirkungen auf eine innere, das hat man mir gesagt, Zerrissenheit, die in mir drin war. Wenn Sie wissen wollen, wie ich als Richter war, kann ich Ihnen nur sagen, sprechen Sie mit einem Herrn Dr. Keyserling. Das ist der Chefpsychologe und Gerichtspsychiater, mit dem ich alle diese ganzen Prozesse geführt habe. Und weil Sie sagen, ich war nicht sehr human oder …
    Schacht:
Ja.
    Passon:
… nicht im Wort, nicht im …
    Schacht:
… im Gestus, im Ton, leider nicht …
    Passon:
Wissen Sie …
    Schacht:
… leider nicht. Ich kann das nicht bestätigen.
    Passon:
Vielleicht haben Sie das so empfunden, nicht wahr. Ich weiß bloß eins, dass man mir von allen Seiten immer eins sagte: Wie ist es möglich, dass Sie bei all diesen komplizierten Sachen, schwersten Verbrechen, wie es sie überhaupt gibt, diese Ruhe an den Tag legen konnten?
    Schacht:
Vielleicht konnten Sie mit Mördern einfach besser umgehen als mit unschuldigen Opfern des Systems?
    Passon:
Also ich möchte das nicht, ich möchte …
    Schacht:
Ich weiß es ja nicht. Weil die Sache klarer war?
    Passon:
Na, die Sachen sind ja nicht klarer.
    Schacht:
Na, ich meine von der Schuld her gesehen.
    Passon:
Nein, wissen Sie, die Schuld ist ja eine ganz andere Art der Schuld, nicht wahr. Dort stand ja von Anfang an die Frage, gehst du an die Todesstrafe ran, gehst du an lebenslänglich ran, gehst du an 15 Jahre ran?
    Schacht:
Haben Sie denn mal einen zum Tode verurteilt?
    Passon:
Nicht einen Einzigen, nicht einen Einzigen.
    Schacht:
Keinen zum Tode verurteilt?
    Passon:
Nein, um Gottes willen, nicht wahr?!
    Schacht:
Das war ja möglich.
    |137| Passon:
Objektiv ja, aber subjektiv hab ich’s nie gemacht. Brauchte ich es, Gott sei Dank, nicht machen. Obwohl ich auch Doppelmörder gehabt hab, nicht wahr. Und, wenn Sie das als Schriftsteller interessiert, ich könnt Ihnen Sachen erzählen. Ich bin auch bereit, dass wir uns mal irgendwo treffen und ich, vielleicht mal außerhalb, Sachen zu Kenntnis bringe, die Sie wahrscheinlich nie gehört haben. Ich habe mich auch nie als ein unabhängiger Richter gegeben.
    Schacht:
Das war ja auch gar nicht die offizielle Definition dessen, was ein Richter zu sein hat.
    Passon:
Man hatte es versucht, nicht wahr, um nach draußen hin als demokratischer Staat zu erscheinen, diese These zu vertreten.
    Schacht:
Na, ja, aber wenn man die Rechtsliteratur genau gelesen hat, die sogenannte rechtsphilosophische Literatur, dann war das schon sehr schnell klar.
    Passon:
Der Staatsanwalt ist, kann man so sagen, die Kupplungsstelle, die Weiche gewesen: zur Bezirksleitung, zur Generalstaatsanwaltschaft, und dann ging es oben weiter. Der kleine Richter hier unten war, und das ist das Bedauerlichste, was ich hier und heute so sage, wir, wir in meinem Alter, sind eine belogene und betrogene Generation. Eine Generation belogen und betrogen von der Führung. Im Nazismus belogen und betrogen und von der SED-Führung, von der Staatsführung, belogen und betrogen, für Handlungen eingesetzt, die eben mit Demokratie im Gegenteil nischt zu tun haben. Sondern wo man den Justizapparat nur als Mittel zum Zweck, und zwar zur Unterdrückung anderer Meinungen, eingesetzt hat.
    Schacht:
Das tröstet mich natürlich wenig in meinem Fall.
    Passon:
Ja, das glaub ich wohl, Herr Schacht. Nehmen Sie bitte aus tiefstem Herzen, nicht als Jurist, das kann ich nicht, als Christ, meine aus tiefstem Herzen kommende Entschuldigung an. Ich kann nichts zurückdrehen, ich freue mich, wenn Sie’s tun. Was ich tun kann, mach ich. Aber wissen Sie, ich sage
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Ihnen auch eins, aufgrund der Depressionen, die ich habe, habe ich Angst, habe ich eine unheimliche Angst.
    Schacht:
Wovor?
    Passon:
Angst vor der hier bei uns in der DDR bestehenden Aggressivität. Es sind nicht die Intelligenten.
    Schacht:
Haben Sie Angst, dass Sie aufgehängt werden?
    Passon:
Nicht gehängt.
    Schacht:
Aber?
    Passon:
Nicht gelyncht.
    Schacht:
Aber?
    Passon:

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