Verfehlung: Thriller (German Edition)
eines Mädchenzimmers hier mit ihr durchgegangen. Sie schaute in die Schubladen, entdeckte aber nichts von Bedeutung, also wandte sie sich dem Kleiderschrank zu, der dem Stil des Schminktischs entsprach.
In der Hoffnung, einen vielleicht nützlichen Hinweis auf die Persönlichkeit ihrer Besitzerin zu bekommen, schob sie die Sachen des Mädchens auf der Stange hin und her. Wenn das, was sie hier sah, Aufschluss über Ellies Charakter gab, musste sie ein ziemlicher Wildfang sein. Jede Menge Jeans, allerhand bedruckte T-Shirts in verschiedenen Brauntönen, ein oder zwei Röcke und ein einziges Sommerkleidchen; außerdem zwei dünne Windjacken, die kaum für das Klima in Schottland geeignet schienen, und einige teuer aussehende Oberteile. Unten im Schrank fand sie eine Auswahl an Markenturnschuhen und flachen Pumps. Nun gut, vielleicht war Ellie eben ein Wildfang mit modischen Ambitionen.
Mützen und Schals wurden in dem Fach oberhalb der Kleiderstange aufbewahrt, und hier fand sie endlich, wonach sie gesucht hatte: Ziemlich weit hinten und verborgen unter einem Halstuch entdeckte sie eine Art Tagebuch – allerdings nicht regelmäßig geführt; das Mädchen schien immer nur dann etwas hineingeschrieben zu haben, wenn ihm gerade danach war. Während sie darin blätterte, gewann Rebecca den Eindruck, dass es sich bei Ellie um ein ziemlich aufgewecktes Kind handelte. Für ihr Alter verfügte sie über einen beachtlichen Wortschatz.
Es gab Eintragungen über Klavierstunden, die sie mit kleinen gemalten Notenbeispielen illustriert hatte. Da Rebecca selbst kein Instrument beherrschte und keine Noten
lesen konnte, wusste sie nicht, ob das Mädchen einfach etwas aus einem Stück kopiert hatte, das es lernen sollte, oder ob es sich hier um eine eigene Komposition handelte. Auf jeden Fall beschlich sie das Gefühl, dass diese Elfjährige ihr im musikalischen Bereich einiges voraushatte.
Im hinteren Teil des Buches fand sie ein paar Seiten, die für Fotos vorgesehen waren, doch die mit »Dad« beschriftete Plastikhülle war leer. Sie klappte das Tagebuch zu, streckte sich, um es wieder ins Regal zurückzustellen, als etwas herausfiel und zu Boden flatterte. Sie kniete sich hin, um es aufzuheben, und hielt es dann vorsichtig zwischen den Fingern. Es war ein getrocknetes und gepresstes Gänseblumenkränzchen, ein wenig verblasst, aber immer noch leuchtend. Als sie es umdrehte, fiel eine der Blüten ab, und die Kette war zerbrochen. Sie schlug das Buch wieder auf und versuchte die Blumenkette zwischen dem letzten Blatt und dem hinteren Deckel wieder vorsichtig zusammenzusetzen. An dem gelben kreisförmigen Abdruck, den die Blüten auf dem Papier hinterlassen hatten, konnte sie erkennen, dass dies ihr ursprünglicher Platz gewesen war. Außerdem war in die Mitte des Kreises mit kindlicher Handschrift »Sommer 2003« gekritzelt worden. Sie tat ihr Bestes, um alles wieder herzurichten, aber der Kranz würde nie mehr zusammenhalten. Sie schämte sich, als sie das Buch endgültig zuklappte. Die gepressten Blumen mussten dem Mädchen viel bedeutet haben, wenn es sie so lange aufbewahrt hatte.
Sie verließ das Haus und ging zu ihrem Wagen zurück. Während sie hoffte, eines Tages die Chance zu bekommen, sich bei dem Mädchen dafür zu entschuldigen, dass sie ihren Blumenkranz kaputtgemacht hatte, fragte sie sich gleichzeitig, was sich im Sommer 2003 so Bedeutsames zugetragen haben mochte.
Als sie zu Hause ankam, blieb sie noch einen Augenblick lang im Wagen sitzen und schaltete die Innenbeleuchtung ein, um sich die Bilder von Finch und dem Mädchen erneut anzusehen.
Könnte sein.
Tom badete den Kleinen gerade, als sie zur Tür hereinkam. Sie rief ihm nach oben ins Bad zu, dass sie sich ein Sandwich machen und dem Baby gerne seine Milch geben würde. Eigentlich war ihr bewusst, dass ihr Sohn längst kein Baby mehr war, trotzdem dachte sie immer noch als Baby von ihm. Als Antwort erhielt sie von Tom nur ein Grunzen.
Sie setzte sich an den alten Holztisch in der Küche und kaute auf ihrem Nutellabrot herum. Sie mochte das Zeug noch lieber als ihr Sohn. Die Fotos lagen nebeneinander vor ihr, und während sie sie betrachtete, entstanden in ihrem Kopf verschiedene Szenarien.
Sie erinnerte sich genau daran, wie Finch auf die Nachricht von Penny Grants Tod reagiert hatte, und war sich sicher, dass sein Verhalten nicht nur gespielt gewesen war. Falls er tatsächlich keine Ahnung von dem Mädchen hatte, das seine Tochter sein könnte, stand
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