Verfehlung: Thriller (German Edition)
wütend. »Das kann nicht sein. Da musst du was falsch verstanden haben, Logan. Ganz bestimmt.«
Logan war sich bei gar nichts mehr von dem, was sich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden ereignet hatte, ganz sicher.
»Ich darf mich in nichts Unlauteres hineinziehen lassen, Alex, sonst ist es mit meiner Karriere vorbei. Man wird mir meine Zulassung als Anwalt entziehen. Was soll ich dann tun?«
»Diese Typen haben nichts mit meinem Deal zu tun. Du bist betrunken und redest dir nur was ein. Das ist alles.«
Wieder starrte Logan die Polaroidaufnahme an, hielt sie sich dicht vor die Augen, um die Frau besser erkennen zu können. Am liebsten hätte er in das Foto hineingegriffen, um ihr das Haar aus dem Gesicht zu streichen.
Rotes Haar.
Kein braunes.
Cahill redete unablässig weiter, aber Logan hörte nicht
mehr zu. Er verabschiedete sich von ihm und beendete das Gespräch. Dann warf er das Mobilteil auf die Couch und befasste sich wieder mit dem Foto, das er noch immer in der Hand hielt. Als das Zimmer zur Seite wegzukippen schien, hatte das nichts mit dem Alkohol zu tun. Mit einem Schlag war Logan nüchterner als je zuvor in seinem Leben.
Eine Stimme in seinem Kopf schrie ihn an, er solle das Foto fallen lassen und davonlaufen. Langsam hielt er es sich wieder dicht vor die Augen, und plötzlich fühlte er sich, als hätte ihn ein Güterzug mit über hundertfünfzig Sachen erwischt, würde in seinen Körper hineinrasen und ihm die Seele aus dem Leib reißen, während er durch die Wohnung donnerte und dann in der Nacht draußen wieder verschwand. Er wollte keinen Blick mehr auf das Foto werfen, aber sein Verstand hatte sich selbständig gemacht und ließ sich nicht mehr steuern. Wieder zog er das Bild zu sich heran und erkannte nun, was er schon gewusst hatte, als er es sich das erste Mal angesehen hatte, was sein angeschlagenes Denkvermögen aber nicht hatte wahrhaben wollen. Es war Blut, das über das Haar der Frau auf dem Bild sickerte, dickes dunkelrotes Blut. Und dann erkannte er auch den roten Fleck um ihren Kopf herum als das, was er in Wirklichkeit war – eine Blutlache –, und dass ihr Gesicht irgendwie verunstaltet wirkte.
Vor allem aber erkannte er, dass es sich um Penny handelte.
Logan sank auf die Knie. Er machte den Mund auf, aber kein Geräusch drang aus seiner Kehle. Sein Kopf füllte sich mit Geräuschen – wie die heranrauschender Wellen. Er wusste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass sie den Schutzwall seiner Zurechnungsfähigkeit zum
Einsturz bringen und die tosenden Fluten seinen gesunden Menschenverstand mit sich davonspülen würden.
Hinter ihm, auf der Couch, spielte das Mädchen mit dem etwas schiefen Lächeln und den braunen Augen in der Sonne mit seiner Kette aus Gänseblümchen, während Logan in sich zusammensackte und in Bewusstlosigkeit versank.
Zweiter Tag
1
Dienstag, 06:00 Uhr
Der Barrowland Ballroom, Sommer 1994. Legendärer Konzertsaal, dessen Tanzparkett, wie man sich erzählt, gefedert sein soll – wie sonst wollte man sich das nicht enden wollende Gehüpfe der Menge erklären? Es ist einer jener fast unerträglich schwülen Tage, an denen in jedem Augenblick ein Gewitter loszubrechen droht, es tatsächlich aber nie dazu kommt und einem die Kleider am schwitzenden Leib kleben.
Logan ist neunzehn und Single. Er beäugt die Mädchen in der Warteschlange, während er sich Schritt für Schritt langsam auf die Sicherheitskontrolle zubewegt. Begleitet wird er von Crawford und zwei von dessen Kumpeln. Sie freuen sich schon auf mehrere Pints Lager-Bier aus den allgegenwärtigen Plastikbechern, um sich damit auf den Wahnsinn, der bald in den ersten Reihen vom »Barras« ausbrechen wird, entsprechend einzustellen. Mit neunzehn sind die Mitglieder einer Band für einen Götter, und man ergötzt sich an jeder einzelnen ihrer Bewegungen. Heute spielt Oasis. Crawford hat sich ihr erstes Album gekauft und schwört Stein und Bein, sie wären die geilste Band der Welt, Mann.
Logan hat nur ein Stück der CD gehört – »Cigarettes and Alcohol« – und findet, dass es sich nach dem anhört, was Marc Bolan heute produzieren würde, wenn er noch lebte.
Rock’n’Roll.
Sie trinken an der Bar am Rand der Bühne, während die Vorgruppe – die gar nicht mal so schlecht ist – mit halb vollen Bechern gelblicher Flüssigkeit bombardiert wird. Logan hofft für sie, dass es sich dabei nur um Bier handelt, aber bei dem Publikum kann man nie wissen.
Dann räumt
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