Verfehlung: Thriller (German Edition)
die Band die Bühne, und die Roadies fangen an, alles für die Stars des Abends aufzubauen. Crawfords kräftiger Kumpel übernimmt die Führung, und sie drängeln und schubsen sich durch die Menge, bis sie nur noch ungefähr zwei Meter von der Bühne entfernt stehen.
Die Saalbeleuchtung verlischt, und die Band stolziert so großspurig auf die Bühne, als würde ihnen die ganze Welt gehören. So etwas hat man seit ... nein, so etwas hat man noch nie gesehen. Der Mikrofonständer des Sängers ist zu seiner vollen Größe ausgezogen, das Mikro schaut quasi von schräg oben auf ihn hinab. Er nimmt seine Position darunter ein, während Rauchwolken aus den Trockeneismaschinen zu beiden Seiten der Bühne alles verhüllen, und dann lassen die ersten Riffs von »Cigarettes and Alcohol« den Zuhörern in den vordersten Reihen die Kopfhaut kräuseln. Crawfords großer Kumpel legt die Arme um die anderen drei, und sie beginnen auf der Stelle zu hüpfen. Logan ist hin und weg.
Fünf Songs später ist er bis auf die Haut durchnässt. Er ist noch nie in einem so lauten Konzert gewesen, und der Saal ist brechend voll mit Menschen. Ihm ist nicht entgangen, dass zwei der Zuschauer umgekippt und wieder auf die Beine gestellt worden waren, ehe sie wieder in der Masse verschwanden.
»Columbia«, kündigt der Sänger das nächste Stück an.
Es entsteht ein Geschiebe von der rechten Seite der Menge, und Logan wird von seinen drei Begleitern getrennt. Als die Beine des jungen Mannes neben ihm einknicken, befürchtet auch er, das Gleichgewicht zu verlieren, aber er kann sich am
Hemd des Zuschauers vor ihm festhalten und hält die Balance. Als er zur Seite blickt, sieht er ein Mädchen neben sich auf dem Boden liegen. Sie wird unabsichtlich in die Rippen getreten, und es sieht nicht so aus, als käme sie aus eigener Kraft wieder auf die Füße. Instinktiv bückt sich Logan, fasst sie um die Taille und zieht sie wieder hoch.
Schlagartig taucht die Bühnenbeleuchtung das Publikum in grellweißes Licht. Das Mädchen schaut ihn an, und er ist hingerissen. Sie ist klein, allerhöchstens eins sechzig, hat eine schmale Nase und schulterlanges Haar, das sie im Nacken zusammengebunden trägt. Um den Nasenrücken herum hat sie ein paar Sommersprossen, und ihre blauen Augen schimmern leicht grünlich. Sie kann ihm gerade noch einen Dank ins Ohr schreien, als die Menge schon wieder in Bewegung gerät, er gegen sie gepresst wird und den weichen Druck ihrer Brüste auf seinem Bauch spürt. Sie legt ihre Arme um ihn, um sich festzuhalten.
Als das Geschubse und Gedränge nachlässt, sehen sie einander an und lachen. Sie drückt ihn noch fester an sich, und sie lassen sich von den wiegenden Bewegungen der Masse treiben, bis der letzte Ton aus der Verstärkeranlage verklungen ist und die Lichter wieder angehen.
Logan ist fast taub – es kommt ihm vor, als lausche er unter Wasser dem konstanten Feedback einer E-Gitarre. Er hat den Arm noch immer um das Mädchen gelegt und schreit ihr ins Ohr, ob sie mit ihm noch etwas trinken gehen wolle.
»ja, klar doch!«, schreit sie zurück, und er kann sie gerade so verstehen.
Von Crawford und den anderen ist nichts mehr zu sehen, aber das stört Logan nicht weiter. Auch das Mädchen blickt sich nach ihren Freunden um, aber scheinbar ebenso halbherzig wie er.
Sie gehen nach draußen und schlagen den Weg in Richtung Stadtmitte ein. Die ziemlich runtergekommenen Pubs um das »Barras« herum lassen sie hinter sich. Im Gehen unterhalten sie sich über das Konzert und die Musik, als vom Himmel schon der erste Donnerschlag ertönt und es in Strömen zu regnen beginnt. Sie nimmt ihn bei der Hand und fängt an zu laufen, reißt ihn mit sich und lacht, wenn er beinahe stolpert und hinfällt und dabei wild mit den Armen rudert, damit sein Gesicht nicht mit dem Straßenpflaster Bekanntschaft macht.
Sie biegen um eine Ecke und sehen im Westen Blitze am Himmel zucken. Logan hat keine Ahnung, wo sie sind, denn er wohnt noch bei seinen Eltern in Ayrshire und kennt sich in Glasgow nur in der Gegend um die Uni herum einigermaßen aus.
Das Mädchen scheint genau zu wissen, wohin es will. Sie zerrt ihn in eine Seitenstraße und an einigen recht runtergewirtschaftet anmutenden Läden vorbei, lehnt sich dann in ihrem an ihrer Haut klebenden durchnässten Kleid gegen eine Mauer und zieht seinen Mund zu dem ihren herunter.
Logan hat schon die eine oder andere Freundin gehabt, doch einen Kuss wie diesen hat er noch nie erlebt, und
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