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Verflixte Hühnersuppe (German Edition)

Verflixte Hühnersuppe (German Edition)

Titel: Verflixte Hühnersuppe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Aretz
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Kleiderschrank, den man in die Rumpelkammer stellt und dann vergisst. Doch jetzt ist genug rumgejammert! Meine Gefühle sind schließlich meine Privatsache – ich lese ja auch nicht dein Tagebuch, oder? (4)

    „Nar’dhina …“, hatte Amarelia am Vorabend ihres Todes mit schwacher Stimme zu mir gesagt, als ahnte sie, dass ihre letzten Stunden vor ihr lagen. „Du musst den Transfer-Tunnel finden! Wenn deine Eltern dich holen, gibt es nur diesen einen Weg!“
    Ich hatte geschwiegen. Schon so viele Fachbücher, Romane und auch Science-Fiction-Hefte hatten wir gewälzt und trotzdem waren wir nicht einen Schritt vorangekommen. Nirgendwo war ein Hinweis, nicht eine einzige Stelle! Aber Amarelia blieb zuversichtlich.
    „Deine Eltern werden kommen! Vergiss sie nicht, hörst du? Du musst vielleicht sehr lange warten, aber eines Tages werden sie vor dir stehen.“
    „Und wenn man sie umgebracht hat? Wenn sie gestorben sind und mich niemals mehr holen können?“
    Amarelia hatte so überzeugt den Kopf geschüttelt, dass ich auch heute noch daran glauben muss. „Solange nur sie wissen, wo sich das Zeichen befindet, wird ihnen niemand etwas antun! Und du weißt, auf Labaido vergeht die Zeit langsamer als hier, auch in fünfzig Jahren kannst du sie noch wiedersehen.“
    Seitdem habe ich unermüdlich nach dem Tunnel geforscht und Anna hat für mich gesorgt, so gut sie konnte. Wir gewöhnten uns aneinander und heute ist sie sogar mehr als eine Mutter: nämlich meine beste Freundin.
    Frau Seeberg bringt uns Schnitzel, angebrannte Bratkartoffeln und braunes Gemüse. Ich bedanke mich höflich, schiebe aber das Fleisch zur Seite. Ich esse kein Fleisch, doch Anna steckt sich ein großes Stück in den Mund. „Lecker!“, sagt sie und lächelt schon wieder.
    Ich blicke auf meine angebrannten Kartoffeln. „Sag mir, was los ist! Irgendwas ist anders als sonst.“
    Lange kaut Anna auf dem Fleisch herum, bis sie es endlich herunterschluckt. „Ich bin wieder zu Hause!“, sagt sie leise. „Ich habe mir schon so lange gewünscht, nach Birkenbleich zurückzukehren. Hier bin ich geboren, hier bin ich zur Schule gegangen und hier habe ich gelebt, bis ich mit meinen Eltern vor vierzig Jahren nach Amerika auswandern musste.“
    Das bringt die Hühnersuppe zum Überkochen. Ich habe gar nicht bemerkt, wie sich die Angst in den letzten Minuten angestaut hat, wie sie nun aufschäumt und alles ans Tageslicht befördert. Natürlich habe ich immer befürchtet, Anna würde sich von mir abwenden, würde sich verlieben oder nicht mehr mit mir herumreisen wollen. Es hatte auch schon mal einen Franzosen gegeben und damals stand unser gemeinsames Leben ebenfalls auf der Kippe, doch schließlich zischte der Kerl wieder ab. Ich hatte Anna wieder für mich und von da an rückten wir enger zusammen. Manchmal habe ich Annas Sehnsucht zwar gespürt, aber ich habe sie nicht wahrhaben wollen und als nicht so wichtig befunden. Warum sie allerdings ein solches unbeständiges Leben mit mir führt, weiß ich auch nicht.
    „Hier im Ort lebt mein erster Freund. Gestern traf ich ihn zufällig wieder“, sagt Anna und ihre Augen strahlen. „Franz lebt alleine, seine Frau ist vor fünf Jahren gestorben. Er möchte, dass ich zu ihm ziehe!“
    Langsam schiebe ich den Teller von mir fort.
    „Natürlich habe ich nicht zugesagt!“, ergänzt Anna hastig. „Von dir habe ich auch noch nicht erzählt, wir werden uns hier erst einmal einleben und dann sehen wir weiter.“
    Zufrieden steckt sie sich ein matschiges Brokkoliröschen in den Mund. Ich aber kriege meine Klappe nicht mehr auf. Bleibt Anna hier, lande ich in spätestens zwei Jahren auf der Straße. Ich könnte mich eine Zeit lang verstecken, vielleicht sogar eine Bleibe auf einer Mülldeponie finden. Aber ohne Geld könnte ich nicht leben – und das zu bekommen, wäre sicher schwierig. Zwölfjährigen Mädchen traut man doch nur zu, Werbeprospekte auszutragen. Früher habe ich auch mal Babysitten dürfen, doch dazu bedarf es einer Postadresse. Ich kann ja wohl schlecht angeben: hinter den Müllcontainern in dem verfallenen Haus mit dem Schild „Betreten verboten“ .
    Weitaus schlimmer wäre es, wenn ich aufgegriffen und in ein Heim gesteckt werden würde. Spätestens nach zwei Jahren merken doch alle, dass etwas nicht mit mir stimmt – und dann muss ich flüchten. Wahrscheinlich würde sogar die Polizei nach mir fahnden, mein Geheimnis käme heraus, die Presse würde von mir erfahren – und meine Feinde

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