Verflixte Hühnersuppe (German Edition)
werden oder kurz auszuruhen. Ich muss Yanniks Eltern zu Hilfe eilen – und ich weiß auch schon, wo. Feuer, Wasser, Erde – und nun ist die Luft an der Reihe! Das Baumhaus liegt geradezu ideal in luftiger Höhe. Was hat das Blechmonster jetzt schon wieder für eine Gemeinheit geplant?
Unbeholfen eiere ich voran. Es scheint, als seien alle meine Muskeln zum Zerreißen gespannt. Wie lange bin ich in den Wäldern herumgejoggt und habe mich mit allen möglichen Sportarten herumgequält? Damit ich jetzt feststellen muss, dass nichts von alldem reichen wird, um die Herausforderung des Wolfs zu meistern? Das Laufen bekommt plötzlich eine neue Bedeutung. Ich laufe nicht mehr, sondern ich hetze – und das noch nicht einmal freiwillig. Ein Leben wird von meiner Schnelligkeit abhängen, das weiß ich so genau wie jeder Schritt so schwer wie Blei wiegt. Die kühle Luft saugt sich in meine Lungen und brennt schmerzhaft. Mein Atem pfeift und ich glaube, wie eine alte Dampflok zu schnaufen. Dabei wird mir klar, dass ich nicht die geringste Chance habe: Will der Wolf nicht, dass ich sein Opfer rechtzeitig erreiche, dann wirft er mir genügend Stolpersteine in den Weg. Und vielleicht steht er hinter der nächsten Mauer und wartet nur darauf, dass ich vor seinen Füßen zusammenbreche.
Als ich wider Erwarten lebend in den Eichenweg einbiege, kann ich die riesige Eiche im Vorgarten von Nummer 5 schon sehen. Die Äste sind ziemlich dicht und sehr breit. Da der Frühling gerade erst begonnen hat und nur winzige Knospen die Sicht stören, blicke ich bis zum Stamm hindurch. Ich blinzle und wische mir den Schweiß aus den Augen. Nichts! Alles ist wie immer – und doch bin ich mir sicher, dass da etwas sein muss.
Mit dem allerletzten Rest meiner Kraft springe ich über den Gartenzaun und bleibe bei der Eiche stehen. Die Augen mit der Hand beschattet spähe ich hinauf. Ich brauche einige Zeit, bis ich ein Seil zwischen den Ästen sehe. Vom Stamm der Eiche ist es bis zum Haus hinüber straff gespannt. Als ich erkenne, was an seinem Ende hängt, hämmert mir mein Herz plötzlich bis zu den Ohren. Dort drüben, kurz bevor das Seil im Giebelfenster verschwindet, sitzt ein dicker schwarzer Knoten. Zwei Meter davor baumelt ein länglicher Gegenstand herab, der in Yanniks Decke aus dem Baumhaus eingewickelt ist. Langsam wird das Bündel durch ein zweites Seil zum Dachfenster gezogen – und nähert sich damit unweigerlich dem schwarzen Knoten. Ich kann noch nicht erkennen, welche Funktion dieser mysteriöse Knoten hat, aber ich ahne nichts Gutes. Klar ist, dass ich sofort handeln muss. Der Wolf hat bisher alles so knapp bemessen, dass mir kaum Zeit zum Atmen bleibt. Ich muss ins Dachgeschoss gelangen, um die Maschine zu stoppen, die das zweite Seil heranzieht und damit das Bündel an den Knoten führt!
Ich stürze zur Haustür, doch die ist verschlossen. Natürlich! Und die Fenster im Erdgeschoss sind ebenfalls alle vergittert! Ich beiße die Zähne aufeinander, dass es laut knirscht. Als ich wieder hinaufsehe, zappelt das Deckenbündel wild. Zwei Arme und ein schwarzer Haarschopf schauen daraus hervor. Es ist Frau Siebert! Sie ist kopfüber festgebunden!
„Du wirscht misch nischt kleinkrieschen, du blöscher Wolf!“, zische ich zwischen den Zähnen hindurch. Ich hole den Kristall aus meiner Tasche und halte ihn Yanniks Mutter entgegen. „Im Zeichen des Friedens, stoppe das Seil!“
Nichts ändert sich. Ich traue meinen Augen nicht, als ich den Spruch wiederhole – noch immer wird das zappelnde Bündel zum Knotenpunkt gezogen. Der Kristall lässt mich im Stich!
„Kleiner Freund!“ , schreie ich und meine Augen füllen sich mit Tränen. „Warum lässt du mich gerade jetzt im Stich? Warum tust du mir das an? Jetzt, wo ich dich brauche?“
Ich atme tief durch. Kann der Kristall seine Energien nicht einsetzen und ich somit nicht ins Haus, muss ich eben die Eiche hinaufklettern und über das Seil zu Frau Siebert gelangen. So einfach ist das. Mit zittrigen Fingern suche ich den Nylonfaden am Stamm des Baumes, ziehe das Seil ungeduldig herunter und klettere hinauf. Ständig sehe ich zu dem Deckenbündel hinüber, nur noch einen Meter ist es von diesem mysteriösen Knoten entfernt. Was wird geschehen, wenn Frau Siebert diesen Knoten erreicht? Wird sie hinunterfallen und auf dem Boden zermatschen?
Ein Ast knackt, meine Füße rutschen ab und gerade noch rechtzeitig kann ich mich an einem Zweig festhalten. Aber auch der ist dünn, ich
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