Verflixte Hühnersuppe (German Edition)
gefunden habe, rase ich zurück. Ich springe über Gräber und Kränze, schlängele mich um Steinmäuerchen herum und kämpfe mich durch die Büsche, die die Grabreihen voneinander trennen. Natürlich kann ich nicht auf die Friedhofsbesucher achten, die mir kopfschüttelnd hinterhersehen. Ich laufe schnurstracks zum Eingang zurück und bleibe vor der Statue stehen. Diese Frau, die sich gerade bückt, um mit einer Handschaufel einen Setzling in die Erde zu bringen, sieht so furchtbar echt aus – so, wäre sie nicht aus Stein. Entweder hat hier ein Bildhauer sein Lebenswerk gemeißelt – oder der Wolf hat seine Finger im Spiel.
Ich betrachte das Gesicht der Frau. Die Lippen sind gespitzt, als pfeife sie gerade zu einem Lied, die Haare sind zurückgesteckt und ihre Augen schauen zwar starr auf den Eimer, sehen aber dennoch lebendig aus. Sanft streiche ich über ihre Jacke, die sie an den Ärmeln hochgekrempelt hat. Hübsch sieht die Frau aus und schlank ist sie auch noch. Das ist also Frau Dulack, meine Konkurrentin …
Ich schmunzle ein bisschen dämlich. Natürlich ist sie keine Konkurrenz, weil Dulack auch nicht mehr mein Freund ist. Aber wäre ich normal gealtert, wäre ich jetzt so alt wie sie – und dann wäre sie es ganz gewiss.
Ich schüttle mich und stecke die Hand in meine Tasche. Da liegt er, der kleine Kristall, nur er kann der Frau noch helfen.
„Kleiner Freund!“ , flüstere ich und berühre ihren kalten Arm. „Gib ihr ihre wahre Gestalt zurück! Lass sie wie vorher wieder leben und atmen!“
Die graue Farbe des Steins löst sich in winzigen Körnchen ab und rieselt mit einem Mal um den Körper der Frau. Umhüllt von einer Staubwolke bückt sie sich, um ihre Arbeit zu beenden, bei der der Wolf sie überrascht hatte. Mühsam versucht sie, die Schaufel in die Erde zu stoßen, aber sie trifft nur eine harte Steinplatte. Schließlich hält sie inne und schaut auf. Ihre Augen weiten sich und ihr Mund klappt auf, aber kein Ton kommt heraus.
„Ähm …“, räuspere ich mich. „Sie sind Frau Dulack?“
„Was … was mache ich hier? Wie komme ich hier hin?“, stammelt sie stattdessen. Dass Erwachsene nie zuhören können, obwohl man sie etwas Ernsthaftes fragt!
„Sie erinnern sich nicht mehr?“, stelle ich etwas dümmlich fest. Ich kann ihr ja schlecht erklären, dass ein Wolf und drei Python-Kämpfer sie versteinert und verschleppt haben und dass sie von Glück reden kann, dass sie noch lebt und keine Schlange in ihre Haut geritzt bekommen hat.
Ja, stimmt! Warum lebt sie überhaupt noch? Ich habe noch nie davon gehört, dass die Schlangenmenschen jemanden verschont hätten …
Frau Dulack richtet sich auf und sieht sich noch verwirrter um. Da sie in nächster Zeit von mir wohl keine geistreiche Antwort zu erwarten hat, dreht sie sich um ihre eigene Achse. Aber auch die Friedhofsbesucher haben wenig Interesse an eine Gärtnerfrauenskulptur, die gerade zum Leben erwacht ist, und so wendet sie sich mir wieder zu. „Was ist hier los? Wo bin ich?“, fragt sie atemlos. Ihre Wangen nehmen schon beinahe die Farbe an, die sie vorher als Steinfigur besessen hat.
„Oh … wir sind auf dem Friedhof Langenfeld und … äh … Sie wollten hier gerade ein paar Veilchen in den Boden pflanzen“, versuche ich zu erklären. Unsere Blicke gleiten zu Boden auf die Steinplatte, in der es wohl kaum möglich ist, einen Setzling zu pflanzen.
„Haben Sie vielleicht einen Zettel bekommen?“, frage ich vorsichtshalber schon einmal. Sie sieht nämlich so aus, als würde sie gleich zusammenbrechen. „Zum Beispiel eine Telefonbuchseite oder irgendeine Info …“
Kaum habe ich das ausgesprochen, hebt sie ihre rechte Hand. Die Schaufel fällt zu Boden, aber in ihrer Handfläche liegt eine zerknüllte Telefonbuchseite.
Hab ich’s doch gewusst! Der Wolf, dieser oberschlaue Knallkopf, lässt keine Sekunde verstreichen, um mir deutlich zu zeigen, dass ich mich ihm fügen muss! Warum sonst muss es wieder eine Seite aus dem Telefonbuch sein, es könnte ja auch eine Glückwunschkarte sein, auf der steht: Wir gratulieren Ihnen zum ersten Platz der Fußgängerrallye!
Ich schnappe mir den Zettel und streiche ihn über meine Beine glatt. (2) Das habe ich mir fast gedacht: Siebert, Herbert und Waltraut, Eichenweg 5 .
Yanniks Eltern sind in Gefahr!
Ohne Vorwarnung laufe ich los, ungeachtet der Rufe von Frau Dulack. Meine Beine fühlen sich inzwischen wie Pudding an, aber ich erlaube mir nicht, langsamer zu
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