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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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und manchmal kann ich erst sicher sein, dass er da ist, wenn er sich bewegt, aber er ist immer da. Auf keinem dieser Bilder ist er zu sehen, aber er ist überall mit drauf, unter der Wasseroberfläche. Ich weiß, dass er da war. Ich kann ihn in diesen Bildern fühlen, obwohl er nicht zu sehen ist. Verstehst du?«
    » Ich glaube schon«, sagte Lucien. Er verstand kein Wort.
    » Der Farbenmann ist wie dieser Karpfen, Lucien. Er ist in allen unseren Bildern, denen von Pissarro, Renoir, Sisley, Morisot– selbst in denen des armen Bazille, bevor er im Krieg erschossen wurde, sogar damals schon, in unserer Anfangszeit, als wir uns alle in Paris begegnet sind, war er da, in jedem unserer Werke, knapp unter der Oberfläche.«
    Unter der Oberfläche des Boulevard Saint-Germain hinkte der Farbenmann über den Kalksteinboden einer Kammer, die fast zweitausend Jahre zuvor ins linke Ufer der Seine gehauen worden war. Er hob eine Sturmlaterne über seinen Kopf, suchte nach dem markierten Stein, der den Standort und die Tiefe des Raumes anzeigte, doch dieser war so gigantisch, dass sich das Licht in der Finsternis verlor.
    » Wir müssen an der Wand bleiben«, sagte er zu Etienne, dem Esel, der nicht sonderlich erpicht darauf war, Treppen hinabzusteigen oder sich durch schmale Gänge zu zwängen, der dachte, Dunkelheit sei ein Zeichen, dass man schlafen sollte, nicht etwas, in dem man herumspazierte, und außerdem fand er diese ganze unterirdische Expedition schlicht unsinnig. Etienne kam mit, weil der Farbenmann nicht gern allein im Dunkeln war und nicht zulassen konnte, dass Bleu von diesem Ort erfuhr.
    Das gesamte Quartier Latin war auf diese Weise unterminiert, und zwar im denkbar buchstäblichsten Sinne. Die Reste der Gruben, in denen man Kalkstein, Lehm und Sand abgebaut hatte, reichten zehn Stockwerke tief. Die oberen Ebenen waren die ältesten, stammten noch aus Zeiten der Gallier, weit vor den Römern, doch da jede Generation am Ufer der Seine Stein abbaute, um die Stadt zu erweitern, musste man immer tiefer graben, bis sich 1774 in der Rue d’Enfer ein riesiger Schlund auftat und einen ganzen Häuserblock verschlang. Daraufhin wurde ein Mann namens Charles-Axel Guillamot von den königlichen Architekten Ludwigs XVI . beauftragt, die Gruben zu begutachten, freizulegen und zu reparieren, bevor das ganze Quartier Latin im Erdboden versank. Über zwanzig Jahre hinweg, selbst während der Revolution, in der nur wenige Bürokraten die Guillotine überlebten, baute Guillamot den Untergrund um, kennzeichnete die einzelnen Kammern und Gänge entsprechend der Straßen, die sich darüber befanden, bis er eine stabile, unterirdische Stadt erschaffen hatte, die doppelt so tief hinabreichte, wie das höchste damalige Gebäude in den Himmel ragte. Als die Mauern der städtischen Friedhöfe buchstäblich unter dem Druck der Jahrhunderte barsten, wurden die Knochen von Millionen Toten in die Kammern unter dem Montparnasse geschafft, um Platz für die nouveau Toten zu schaffen, und man taufte das Beinhaus » Katakomben«, nach den alten Krypten von Rom.
    Der Farbenmann hatte den Katakombeneingang am Boulevard Saint-Jacques genommen. Eine Viertelstunde lang war er mit Etienne an den Gebeinen der Geschichte entlanggestolpert und hatte sich einen Weg in den tiefsten Teil der unterirdischen Stadt gebahnt, in den kein Mensch je ging.
    Sie kamen zu dem markierten Stein, und der Farbenmann stellte seine Lampe auf die Erde, holte eine pergamentene Karte aus seiner Tasche und breitete sie auf dem Boden aus.
    » Ist nicht mehr weit«, sagte er zu Etienne, der die Spinnweben betrachtete, die von der Krempe seines neuen Hutes hingen und seiner Meinung nach noch einmal deutlich vor Augen führten, wie schwachsinnig diese Mission war.
    Inzwischen waren sie so tief, dass nicht einmal mehr Ratten umherhuschten, da es für sie hier unten nichts zu holen gab. Der Farbenmann blieb an der Wand, etwa einen Häuserblock weit, führte Etienne am Strick, bis er zu einem Bronzering kam, der auf seiner Kniehöhe im Stein befestigt war.
    » Schschscht«, machte der Farbenmann. Er neigte den Kopf und lauschte. Etienne horchte ebenfalls in den großen Raum hinein: das Geräusch ihres Atems und ganz in der Ferne tropfendes Wasser.
    » Hast du Schritte gehört?«, fragte der Farbenmann.
    Etienne antwortete nicht, wie es seine Art war. Allerdings meinte er, das Scharren eines Schuhs gehört zu haben. Vielleicht aber auch nicht.
    Der Farbenmann ergriff den Bronzering,

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