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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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dem Gare Saint-Lazare angehalten hatte, wie ich sie stets angehalten hatte, wenn Camille und ich auf Reisen waren, wenn sie mir Modell saß. Ich hätte alles gegeben, um noch einen Augenblick mit ihr zu haben, um sie bei mir zu behalten.«
    Da veränderte sich das Bild für Lucien. In den Pinselstrichen sah er, was Monet stets als seine Absicht erklärt hatte: den Augenblick einzufangen. Er versuchte, sie am Leben zu erhalten.

    Ihm wollte nichts einfallen, was er über das Bild sagen konnte. Es als Kunstwerk zu beurteilen, hätte kalt geklungen. Etwas zum Thema zu sagen, nun, angesichts solcher Trauer konnte nichts wirklich genügen. » Es tut mir leid«, sagte Lucien schließlich und ließ die Worte einen Moment im Raum stehen, bevor er fortfuhr. Er erinnerte sich an Madame Monet, aus der Zeit, als die Monets noch auf dem Montmartre wohnten, und obwohl er sie nicht gut gekannt hatte, war sie doch immer nett zu ihm gewesen. » Wie sind Sie darauf gekommen? Sie war schon lange krank, oder? Was hat Sie schließlich dazu gebracht, es noch mal mit dem Blau zu versuchen?«
    » Sie wollte es so«, sagte Monet. » Sie bekam kaum noch Luft, und das schon eine ganze Weile. Selbst zum Husten fehlte ihr die Kraft. Doch irgendwann nahm sie meine Hand, und das Licht kehrte in ihre Augen zurück. Für einen Moment nur war sie dieses wilde Mädchen, das mich all die Jahre begleitet hatte, und sie sagte: › Mach mir ein Bild, Claude. Mach mir ein Bild.‹ Da wusste ich es. All die Jahre hatte sie nicht gesagt, ich solle ein Bild für sie machen, sondern sie bat mich, aus ihr ein Bild zu machen. Noch heute klingt es verrückt, wenn man es laut ausspricht.«
    » Nein«, sagte Lucien nur. Schweigen erfüllte den Raum.
    Monet schob das Bild von Camille wieder in die Reihe, dann schlurfte er umher, ordnete Pinsel in Bechern, sammelte Lappen ein und rollte Farbtuben auf, während Lucien so tat, als begutachtete er die Bilder an der Wand, damit er nicht die Tränen in den Augen seines Mentors sehen musste.
    Lucien hatte tausend Fragen, doch er wollte nicht, dass seine Angst um Juliette ihn dazu trieb, herzlos zu klingen. Als er hörte, dass Monet ein Streichholz anriss, um seine Pfeife anzustecken, legte er los.
    » Was ist mit den anderen? Renoir? Cézanne? Haben die auch mit dem Farbenmann Geschäfte gemacht?«
    Monet paffte an seiner Pfeife, als dächte er über eine akademische Frage nach und nicht über etwas, das seinem Herzen so nah war wie Camille. » Du erinnerst dich an Renoirs Margot, nicht?«
    » Natürlich. Sie wohnte auf dem Montmartre.«
    » Sie starb wenige Monate nach Camille. Auguste war am Boden zerstört. Sein Herz war gebrochen. Ich war bei ihrer Beerdigung, und an diesem Abend haben wir getrunken, Renoir und ich und noch ein paar andere, und er sprach davon, dass er sie gemalt hatte, aber keine Bilder finden konnte, obwohl er genau wusste, dass er sie gemalt hatte. Es war so kurz nach Camilles Tod, dass ich damals dachte, seine mangelnde Erinnerung könnte vom selben Blau herrühren und Renoir hätte zufällig dasselbe entdeckt wie ich. Aber ich hatte nicht den Mut, ihn danach zu fragen, und bald darauf ging er fort, bereiste das gesamte Mittelmeer, um– wie ich glaube– zu vergessen. Seitdem haben wir nicht mehr miteinander gesprochen.«
    » Und die anderen?«
    Monet verdrehte die Augen und malte mit seinem Pfeifenrohr Kreise in die Luft, als dirigierte er das Orchester seiner Erinnerung. Schließlich sagte er: » Vielleicht alle, vielleicht keiner, Lucien. Du weißt, wie Maler sind. Wenn der Louvre anböte, deinen Blauen Akt zu kaufen und zum nationalen Kulturgut zu erklären, würdest du dann auch nur einen Gedanken daran verschwenden, welche Ehre der Farbe gebührt?«
    » Nein, vermutlich nicht, aber Pissarro…«
    » Lucien, sieh her.« Mit seiner Pfeife lenkte Monet Luciens Blick auf die Wand voller Bilder, deutete nacheinander darauf, als wären es Zeichen auf einem Notenblatt. » In meinen Seerosenteichen gibt es einen großen, grauen Karpfen. Ich glaube, er muss wohl aus der Seine hereingekommen sein, als wir die Teiche angelegt haben. Er ist von derselben Farbe wie der Schlamm am Grund und der Schatten der Weiden. Manchmal sieht man nur einen hellgrauen Strich, den Rand seiner Rückenflosse. Immer, wenn ich den Garten male, male ich auch das Licht auf den Teichen, die treibenden Seerosen, die Spiegelungen von Himmel und Sonne, und während ich male, ist er da. Ich muss genau hinsehen, um ihn zu erkennen,

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